Zum ersten Mal begriffen habe ich diesen Unterschied im Film „Der Himmel über Berlin“ von Wim Wenders. Diese unterschiedlichen Gefühle, die dieselben Dinge oder Ereignisse bei verschiedenen Menschen hervorrufen. So wie die Engel Damiel und Cassiel dasselbe erleben, und daraus ganz unterschiedliche Sehnsüchte, Wünsche auch Verzweiflungen entwickeln. Theoretisch hatte ich das längst kapiert, praktisch stand es mir hier das erste mal vor Augen, wenn auch nur in einem Spielfilm.
Eine meiner Nachbarinnen hat Suizid begangen. Ich kannte sie wenig, mochte sie aber gerne, sie trank oft einen Kaffee im Hof, wo sie ihre Tongefäße zum Trocknen hinstellte, sie hatte gleich unter meiner Wohnung ein kleines Keramikatelier. Sie kam aus Japan, hatte einen englischen Ehemann, ihr Deutsch war rudimentär, mein Englisch gerade morgens auch nicht in Höchstform. Wir redeten kaum. Sie war verschlossen, mehr als einmal war ich enttäuscht, dass sie nicht zu unseren Hoffesten kam, auch sonst nie Zeit für eine gemeinsame Pause hatte. Irgendwann hielt ich sie sogar für unfreundlich, ein Eindruck, der sich jedoch wieder verflüchtigte, wenn ich sie sah. Auch wenn sie nur kurz grüßte, es war immer herzlich.
Wir haben viel Zeit im selben Haus verbracht. Wo ich Hoffnung schöpfen konnte, ist ihr Mut offensichtlich schwächer geworden. Natürlich habe ich daran keine Schuld. Ich sehe allerdings einmal mehr mit Schrecken, wie wenig ich von dem mitkriege, was in meiner Umgebung vor sich geht. Wie klein meine Welt ist. Und das ist schon der zweite Fall in drei Jahren. Ich wollte unbedingt aufmerksamer werden. Das sollte doch nicht nochmal passieren. Ehrlich? Ich habe auch diesen Tod nicht kommen sehen.