Blaue Laune

Ich tanze.

Teile die Luft

Mit Fingerspitzen

Als wäre ich

unter Wasser

Als Seejungfrau

oder doch eher

als Ungeheuer

mit zarten Gefühlen

unterm Schuppenkleid.

Now

Genieße den Moment. So werben jetzt also auch schon Kaffeetassen. Und wer sich nach einem Arztbesuch mit genau so einer Tasse in die noch kalte Sonne setzt, ist zumindest froh, den Moment überhaupt wahrzunehmen. Denn es muss ja schon wieder so viel heute. Ich frage mich: Warum lebe ich so oft haarscharf am eigenen Leben vorbei?

Im Mittelalter war es anders. Es gab keine Wecker, keine Stechuhren, und statt Terminplanern Jahreszeiten (grob gesprochen). Vielleicht taten die meisten Menschen das, was uns heute so schwer fällt: Im Augenblick sein. Das Leben bestand viel aus Handarbeit, aus Körperarbeit. Vermutlich ist man sich so schon viel öfter selbst bewusst. Schmerzen waren sicher auch mehr an der Tagesordnung. Das ganze kreatürliche Paket. Ein Leben in der Gegenwart, dieses „im Jetzt sein“ stellten sie sich damals so schlimm vor, wie die Hölle. Weil es wie ein Gefängnis war. Nie aus der eigenen Haut heraus können. Die Zukunft, und vor allem das Jenseits (ein erhofftes Leben nach dem Tod) waren Hoffnungsschimmer und Trost. Tomorrow.

Ich denke an einen Satz, den meine Mutter mir gelegentlich sagte: „Morgen ist auch noch ein Tag.“ Und der war tatsächlich ein Trost, eine Erweiterung meiner augenblicklichen Lage. Now and then in eine Balance zu bringen, scheint also ein gutes Konzept. Will sagen, ich verstehe die Idee von einer augenblicklichen Aufmerksamkeit. Aber eben auch die Flucht nach vorn.

Während ich das schreibe, entdecke ich eine tolle Spiegelung auf einer meiner Plastikmappen auf dem Schreibtisch. Ein Foto, ein Momentum. Und jetzt fange ich an zu arbeiten.

Kreativität

Die Psyche ist eine große Künstlerin. Sie gestaltet Symptome.

Ein Symptom ist einzigartig.

Ein Symptom ist klüger, als sein*e Schöpfer*in.

Ein Symptom ist ein Werk.

Ein Kunst-Werk.

Es will verstören.

Es will Aufmerksamkeit.

Es zielt auf ein Publikum.

Sei mal nicht so hysterisch!

Sagt das überhaupt noch jemand? Es scheint tatsächlich, als sei die Hysterie aus dem modernen Leben verschwunden. Nachdem sie zu Beginn der Psychologie Anfang des letzten Jahrhunderts eine so wesentliche Rolle gespielt hat. Doch weg ist sie längst nicht, wie ich gestern von einer Spezialistin gelernt habe. Wie das manchmal so ist in Ausstellungseröffnungen geht: Man redet angeregt mit bis dahin Fremden und vor allem so gar nicht über das, was an den Wänden hängt. Die Hysterie, so habe ich erfahren, wird meist nicht diagnostiziert, sondern landet im besseren Fall bei der Epilepsie. Aber sie ist weit verbreitet, auch bei Männern. Zeichen sind entweder Erstarrung oder übermäßiges Zittern, bzw. solche Anfälle, die der Epilepsie ähneln. Was ich interessant finde. Ich bin offensichtlich in meinen Träumen hysterisch. Denn ein wiederkehrender Alptraum besteht darin, dass ich auf einen Schlag – oder in bestimmten brenzligen Situationen nichts mehr sehen kann. Traumhysterie. Mal was anderes. Das herrlich grimmige Krabbengesicht stammt von Jens Prockat, einem Grafiker, Typographen und Objektgestalter aus Berlin. Im Original ist es winzig. Und hinreißend!

Und wenn mir nichts mehr einfällt?

Paradoxerweise habe ich genau dann, wenn mir so gar nix einfällt, meist zu viel im Kopf. Hundert lose Gedankenfäden hängen mir in die Stirn und es entsteht Flimmern statt klare Gedanken.

Ich probiere neue Alltäglichkeiten aus, denn einmal mehr hatte ich mich in zu vielen Pflichten aufgehängt. Wobei es ja nicht ums Nichterfüllen von Pflichten geht. Sondern um die Nähe zu den Dingen, die mir wichtig sind. Das scheint mir dringender, je älter ich werde. Aber ich habe mich gerade auch im Verdacht, zu schnell in Panik zu verfallen. Aber eben. Ich muss zum Beispiel wieder mehr weg vom Schreibtisch. Gleichzeitig muss ich mehr schreiben. Und zwar die eigenen Texte. Ich drifte schon längst wieder weg. Ich möchte auch wieder mehr fotografieren. Das habe ich schleifen lassen, weil Handy-Fotos zur Not ja gehen. Und ja, die sind auch gut, ich mache sie aber viel zu beiläufig. Natürlich bin und bleibe ich eine Knipserin. Aber mit einer Kamera fotografiere ich aufmerksamer. Da möchte ich wieder hin. Weil das genau die Aufmerksamkeit ist, die ich auch zum Schreiben brauche.

Auch mit meinem Frau-Sein strauchele ich mal wieder. Wie da weiter? Ich spüre eine Energie, die gerne zum Ausdruck käme. Aber ich finde keine Tür. Es geht mir nicht darum, ein – sagen wir – Profil zu finden, aber eine Art von Aufmerksamkeit. Während ich auch hier immer wieder nur weg döse. Es ist gerade so, als wenn es Dinge gäbe, die ich JETZT unbedingt noch erledigen müsste, um am Ende nicht in Ressentiments unterzugehen.

Pläne? Noch ein Tanzkurs, ein Sprachkurs, Schwimmen, bald, bald, bald wieder wegfahren, egal, wohin (am Dienstag übrigens nach Berlin-Bohnsdorf. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es das gibt!!!) Blumen sähen, Bohnen. Lesen.

Im Grunde, mich wieder einmal neu zur Welt ins Verhältnis setzten.

Das Foto zeigt eine aktuelle Arbeit des Berliner Künstlers Axel Lieber mit dem sehr schönen Titel „Mein konstruktiver Alltag“ (2022). So gerade zu sehen in der Ausst. „Relief“ in Berlin, B-Part Am Gleisdreieck, Luckenwalder Str. 6b. Kleine, aber äußerst feine Ausstellung. Bis zum 25. März.

Was denken? Was tun?

Krieg. Ein sperriges Wort. Für mich im Westen von Europa eher ein Gespenst aus der Vergangenheit. Oder aus weit entfernten Gegenden. Mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien kam er für mich zum ersten Mal näher. Seit einem Jahr bedroht er die Weltordnung (wobei Ordnung natürlich eine gewisse Übertreibung ist) und unser Gefühl, mehr oder weniger in Sicherheit zu sein. Vielleicht bin ich weniger anspruchsvoll, und noch nicht auf 180, wenn mal wieder die Heizung ausfällt. Ich verstehe, wie wenig einem im Grunde zusteht, wie schnell alles ganz anders sein kann. Ich sehe keine Flüchtlinge mehr, weil ich denke, alle Menschen haben das gleiche Recht auf der Welt zu sein, egal wo. Ich übe mich im Teilen. Doch egal, was es ist, angesichts des Ausmaßes scheint mir alles zu wenig.

Und es wird vermutlich noch lange so weiter gehen. Und es wird eben nicht nur weiter gehen, sondern schlimmer werden. Was denken? Was tun? Hoffnung entwickeln ist vielleicht etwas, was ich kann. Die EU hat sich bislang gut geschlagen, das sah am Anfang ja noch ganz anders aus. Also Grund, sich wenigstens ein wenig zu freuen. Wenig genug. Aber ein wichtiger move, um nicht in Selbstmitleid oder Lethargie zu verfallen.

Da lacht der Berliner

aber nicht mehr lange.

Dieser unsäglich leckere und wohlproportionierte Pfannkuchen ist eine Handarbeit meiner Bürokollegin Katrin. Herzlichen Dank für diese Köstlichkeit. Die Rheinländerin hat sich für einen kurzen Moment fast wie zu Hause gefühlt…

Zeichnungen aus 40 Jahren, „to be continued“ – Frank Taffelt in der Berliner Galerie Inga Kondeyne

Handarbeit ist ein Begriff, dessen ursprüngliche Bedeutung im digitalen Zeitalter wieder nach vorne rückt, zumindest scheint es mir so: Handarbeit im Sinn eines nicht-maschinellen Tuns. Dennoch mögen die meisten nach wie vor Textilien vor Augen haben. Oder Frauen, die häkeln, stricken, weben.

Textilien, Fäden, Garne, Wolle, die verarbeitet, zu Flächen werden. Die ihrerseits, proportioniert, vernäht, als Kleidung dienen, Wand- oder Bodenschmuck bzw. Dämmung.

Textile Handarbeiten, ein schmaler Grat zwischen Noch-Nichts und Etwas. Eine stete Wiederholung. Geborgene Zeit.

In der akademischen Tradition westlicher Kunst entspricht die Zeichnung dem Geistesblitz, der Idee, einer Vision. Im 19. Jahrhundert stand sie im künstlerischen Wettkampf gegen die Malerei, die Gefühl, Atmosphäre und, sagen wir, Sound verkörperte. Was aber, wenn einer mit dem Zeichenstift anfängt zu malen? Abstrakt zu malen?

Frank Taffelt arbeitet ausschließlich mit Kugelschreibern. Anfangs gerne auch in den Farben Rot und Blau, heute meist in Schwarz. Er erobert Flächen. Vorab genau abgesteckte Terrains, manchmal kaum eine Hand breit, dann groß wie ein Buch, ein Folioband gar.

Und jetzt gilt es genau hinzuschauen. Denn der Untergrund, die eroberte Fläche zählt. Und erzählt. Von Taffelts Herkunft zum Beispiel aus Bautzen. Von der Großmutter, die einen Laden hatte, von Kindheitstagen, in denen Papier gesammelt wurde, von im Sonnenlicht über die Jahre verblassten Passepartouts abgehängter Bilder oder Erinnerungen auf nicht verschickten Ansichtskarten.

Doch was passiert, wenn er den Kugelschreiber zum Überzeichnen der aufgehobenen oder gefundenen Pappen, Kartons, Papiere zückt? Die Fläche absteckt, mit der oft sehr kleinteiligen Strichelarbeit beginnt? Denn auch wenn er übermalt bzw. überzeichnet, ist es keine Geste der Eroberung. Verfremdung wäre eine erste Idee. Veredelung eine zweite, denn die neuen Flächen sind spiegelglatt und reflektieren das Licht, das auf sie fällt. Auch Verdichtung, denn wie in einem Speicher sammelt sich Zeit in den Flächen an.

Tatsächlich lässt mich das stete An- und Aufeinanderlegen kleiner Striche, das gewebeartige Geflecht, das daraus entsteht, an Penelope denken, die listenreiche Gattin von Odysseus, die mit ihrer Webarbeit Zeit überbrückt und sogar dehnt, indem sie nachts die tagsüber gewebten Stücke wieder auftrennt. Ich sehe endlose griechische Sommernachmittage, die sie zu Flächen verwebt, vor dem Verrinnen geborgene Zeit. Die sie nachts jedoch verloren gibt. Aber da hat sie ihre triftigen Gründe.

Frank Taffelt trennt nichts auf, radiert nichts. Selbst Fehler – wie ein auf die Malfläche abgestelltes Rotweinglas, das Flecken hinterlässt – werden eingewebt. Und die Tatsache, dass manche Malunterlagen leiden, mürbe werden unter dem Ansturm des Kugelschreibers, ausleiern, die Form verlieren, hauchdünn werden oder Wellen schlagen, wird von ihm angenommen und keineswegs begradigt, eliminiert. Er verändert und akzeptiert gleichzeitig. Vielleicht liegt hier auch ein Hinweis, denn wenn es keine Eroberung ist, ist es vielleicht eine Kontaktaufnahme oder ein Dialog.

Aus neuster Zeit stammen Reliefs, auch sie aus „Altpapier“, auch sie filigrane Fleißarbeiten, die an Textilien erinnern. Oder an Architekturen, beziehungsweise Architekturmodelle. Und die Schatten werfen, statt Licht reflektieren, und so ebenfalls – wenn auch äußerst dezent – in den Raum ausgreifen.

Was wäre wenn? Zum Beispiel Aliens diese Reliefs als Reste einer untergegangenen menschlichen Zivilisation finden würden? Hätten sie Antennen für den lyrischen Ton der Werke, deren Schönheit und gleichzeitig deren Angebot, über Zeit, Handarbeit und von da aus über die conditio humana insgesamt nachzusinnen? Veredelung von Übriggebliebenem zu erkennen oder Fragen nach Wert oder Funktion zu stellen? Mir gefällt die Vorstellung, dass diese stillen Arbeiten als eine Art Zeitkapseln ins All reisen. Ich sehe sie in neuem Licht, wenn sie vor Wesen mit ganz anderen Wahrnehmungsmöglichkeiten stehen als komplexe Denkfiguren, die sie sind.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 25. März

Foto: Pedro Moreira

Innehalten

Es ist weit weg. Es ist grauenhaft. Ich habe es gesehen. Das Erdbeben in der Türkei und in Syrien. So viel Elend. Ich spüre es. Ich bin bedrückt, traurig. Es gibt den Impuls, etwas zu tun, bloß was? Ich klappe den Rechner zu, zünde eine Kerze an. Denke an die Menschen im Katastrophengebiet. Ich habe noch einen guten Anorak, den ich abgeben kann.

Ein falscher Tag

Zumindest schien die Sonne. Und nein: Natürlich gibt es keine falschen Tage. Aber solche, die sich falsch anfühlen. Überflüssig, drückend, unnötig. Zum aus dem Kalender streichen. Komplett zum Vergessen. Decke drüber: nächster Tag.

Geht aber nicht.

Der Tag ist gelebt. Im Gepäck. Passiert. Was war los?

Nichts weiter. Nur, dass alles, was ich anfasste, stecken blieb, umfiel, kleckerte, verquer war, nicht gelang. Von außen besehen, Stoff, aus dem alte Slapstick-Filme sind. Und insofern für andere wahrscheinlich sogar lustig.

Ich aber stand unter einer Wolke schlechter Laune.

Der Knoten ist geplatzt. Ich hab mir auf die Schulter geklopft, „Scheiß Tag“ gesagt und am Ende aus der Schreibtisch-Unordnung (selbst simples Aufräumen ging nicht) noch einen Brief gezogen, der mir für nächstes Jahr die Auszahlung einer Versicherungssumme ankündigt. Kein großes Los. Aber was zum drüber Freuen.

Jo. Soviel zum falschen Tag. Die Laune war gleich besser. „Falsch“ und „richtig“ habe ich fürs Erste vom Hof gejagt. Und morgen scheint wieder die Sonne.