Verdrängungsleistung

Bei einigen Dingen denke ich gerne „ich doch nicht“. Natürlich weiß ich – aber damit bin ich wahrscheinlich nicht alleine… Neulich ist mir etwas eingefallen. Einfach so, aus heiterem Himmel. Ein so abstruser Moment, so irreal, dass ich ihn damals erst einmal gar nicht begriffen habe.

Wahrscheinlich kennt Ihr das Fluggeräusch eines Gewehr- oder Pistolengeschosses aus dem Fernsehen. Kein Western alter Schule kommt ohne es aus. Es pfeift zu schön. Damals stand ich auf einem kleinen Balkon meiner kleinen Wohnung in einem 15geschossigen Student*innenwohnheim. In Steglitz. Ein Sommertag. Ich höre das Geräusch ganz nah an meinem Kopf. Immerhin bin ich sofort in die Wohnung gegangen.

Es gibt eine vage Erklärung. Am Ende einer großen Wiese, die zum Wohnheim gehörte, war ein Schießstand der Polizei.

Und das hat mir damals gereicht. „Da ist wohl was schiefgegangen“ und fertig. Keine Angst, keine Empörung, keine Anzeige, kein gar nichts. Ich habe nicht mal geweint. Abgekapselt und weg damit. Rückblickend denke ich, es war einfach zu absurd. Wer hätte mir geglaubt? Aber dass ich diesen Moment nicht einmal vor mir selbst zugegeben habe – !? Ich nehme es als tiefen Blick in die Untiefen meiner Spezies. Und hoffe, dass mir das nie wieder passiert.

Das Foto zeigt eine Arbeit von Ruth Asawa.

Sibylle Lewitscharoff (1954-2023)

„Wie fein die Toten hören! Zu einem Riesenohr vereinigt, segeln ihre Ohren am Himmel und überspannen ihn zu weiten Teilen. Was sich von Zungen löst, was sich in Hirnen formt, erzählte Worte, geträumte Worte, Worte ohne Klang, sie. alle werden vom Großen Totenohr. erlauscht. Es wedelt, es fächelt, es zuckt wie ein Elefantenohr im Takt zu den Lügen, Beschwörungen, Gebeten, den Sirenengesängen, Notschreien, Märchen in den Babelsprachen der Erde, es hört die Tierlaute und den Krach der Maschinen, hört das Uuuijujuio der Gibbons so präzis wie das Huuijui der. Kleinen Hufnase, hört das Schwappen der Meere und die dunkle Verzweiflung der Callas. Hört sellbst Fehlwörter. und schlampig gesprochene Silben, Wörter, die so huschig erscheinen und wieder verschwinden, dass nicht einmal wer sie geboren hat imstande ist, sie zu verstehen.

Es war einmal.

(Consumatus, 2006)

Was möchte ich?

Eine Frage,

die ich kaum stelle.

Was heißt schon möchten?

Und wann gilt es?

Jetzt? Oder für immer?

Was möchte ich?

Oh, sorry,

schlechter Moment.

Ich ist gerade nicht zu sprechen…

Sagt Sie.

Jedes Mal.

Ich will, ich will, ich will…

SOFORT

Brüllt Es im Hintergrund.

Bis eine Tür laut zuknallt.

Vielleicht kommen Sie einfach später nochmal?

Mit Alexander von Humboldt am Fenster

Gestern war ich im Berliner Knoblauchhaus, einem Gebäude aus der Biedermeierzeit, in dem heute neben schönsten Möbeln der damaligen Zeit auch das Bett Alexander von Humboldts beherbergt. Heute scheint die Sonne, die mich ans offene Fenster lockt und ich höre zuerst die Vögel vom Kreuzberg, dann die Kinder der nahegelegenen Kita und erst spät eigentlich den Soundteppich der großen Straßen, wie der kleinen Straßen, hauptsächlich des Mehringdamms, und, je nach Windboe, die Autobahn in Tempelhof. Alexander von Humboldt würde vermutlich genau umgekehrt höre. Denn die Autos kennt er nicht, das würde ihn sicher verwundern. Stören? Vielleicht gar nicht mal so, Kutschen waren damals schon zuhauf unterwegs und laut. Aber befremdlich fände er dieses Rauschen und Brummen sicher, zumal, wenn sich lautstarke Musikfetzen untermischen.

Könnte man hören, dass wir im 21. Jahrhundert sind, fragt etwas in meinem Innern. Vielleicht wäre es nur die Lautstärke oder eine bestimmte Mischung der Motorengeräusche, die zumindest auf das Ende des 20. Jahrhunderts schließen lässt. Spezifische Geräusche für die Jetzt-Zeit mache ich gerade nicht aus.Meine Top-Favoriten? Die Schwalben. Alexander von Humboldt wiegt den Kopf. Ich glaube, ihn beruhigt der Wind, der durch die weit ausholenden Brombeerranken geht.

Gestern ging es mir durch den Kopf:

Es gibt tatsächlich Dinge, die nur einmal im Leben geschehen. Viele eher durch Zufall. Manche altersbedingt. Andere geplant. Heute sitze ich am offenen Fenster in der Sonne und frage mich: was würde ich gerne einmal im Leben tun? Und Ihr so?

Urlaub auf dem Weg zur Arbeit

In den letzten Jahren hat Corona fast vergessen lassen, wie beliebt Kreuzberg immer noch bei Reisenden ist. Dieses Jahr treibt der Sonnenschein nicht nur Grün und Bunt aus der Erde, plötzlich sind auch wieder Menschengruppen per Rad oder zu Fuß unterwegs, um sich in der Stadt umzutun. Ach ja. Und nein. Ich will gar nicht granteln, sondern mich daran erinnern, wie schön ich wohne…

Und wer ist auch schon da? Die Schwalben!

Klunker des Alltags – reloaded

Ich fasse es selbst kaum, aber die Klunker gibt es mittlerweile seit achteinhalb Jahren. Längst nicht mehr in der anfänglichen Form, denn gestartet bin ich mit dem Anspruch, täglich zu schreiben. Als Scheitern sehe ich das nicht, obwohl ich es an vielen Tagen schade finde, vom Tag nicht noch einen Text abgeschöpft zu haben. Aber so habe ich die letzten Jahre erlebt: Es gibt Ebbe und Flut, Zeiten für etwas oder etwas anderes. Für mich gilt nicht ganz oder gar nicht. Ich laufe Langstrecke und bleibe lieber dran, als Höchstleistungen anzustreben.

Auch scheint der Kompass neu ausgerichtet. Die Klunker waren von Anfang an die Suche nach etwas. Vielleicht nach etwas Besonderem, nach Schönheit. Bestimmt auch nach Sinn. Heute sehe ich mehr die Art des Schauens selbst im Focus, als das Gesehene. Denn es geht mir um „wahre“ Bilder. Um eine „Echtheit“, die seit Jahren und Jahren und Jahren verlorenzugehen scheint, weil wir in einem konfektionierten Mainstream schwimmen, und den Mut zur eigenen Wahrnehmung immer weniger für nötig erachten. Ich schließe mich da keinesfalls aus.

Klunker des Alltags sollten Mut machen. Für die eigene Wahrnehmung und für die Schönheit eines gewöhnlichen Lebens. Wobei Mut machen am allermeisten an mich selbst gerichtet war. Heute sehe ich mich noch mehr auf der Suche nach Perspektiven oder Fragen, die gerade nicht von den Medien aufgegriffen oder überhaupt erst gemacht werden. Nach Themen jenseits der Aktualität. Nach Kleinigkeiten. Die eben Schätze, oder eben Klunker sein können, weil sie uns vom reißenden Aktualitätsstrudel ablenken. Natürlich ist Aktualität eine Wirklichkeit, die nicht vernachlässigt werden darf. Es gibt Dinge, die müssen jetzt entschieden oder bedacht sein. Aber wenn ich mich ablenken lasse, oder wenn ich meinen eigenen Bildern nicht mehr traue, läuft etwas aus dem Ruder.

Klunker sind für mich übrigens auch Überforderungen. Denn auch diese sind im Mainstream nicht mehr vorgesehen. „Überfordert Euch!“ – „gelegentlich…“ möchte ich mir als neues Motto auf die Fahnen schreiben. Es lohnt sich! Weil wir überfordert wieder einen Blick für Schönheit bekommen, der, wenn wir immer obenauf schwimmen und alles können und durchschauen, schnell verloren geht. Also doch wieder alles beieinander: Schönheit, Mut, ein vielleicht gewöhnliches, aber dafür eigenes Leben. Allen einen schönen 1. Mai!

Noch einmal KI

Im Grunde, denke ich, haben wir eine Debatte, die wir vor 10 Jahren schon hätten führen können. Denn – spätestens – damals wurde klar, dass in den meisten Fälle keine Inhalte mehr vermittelt werden sollten, sondern Texte geschrieben. Das ist ein Unterschied. Denn schon damals ging es darum, viel Text in möglichst wenig Zeit zu generieren. Prima, wer da in Modulen arbeiten kann und auch sonst wenig Skrupel bei der Genauigkeit hat. Schnellstmöglich oberflächlich haltbaren Sinn zu produzieren, und seien noch so große Luftblasen darin, ist seitdem die Aufgabe von Texter:innen. In allen denkbaren Bereichen. Längst auch im Journalismus. Dass uns darin eines Tages die KI das Wasser würde reichen können, war absehbar.

Wir sind längst an dem Punkt, an dem schwierige Inhalte, sperrige Sätze oder Gedanken als Fehler markiert und einem Publikum als unzumutbar klassifiziert werden. Nicht die KI ersetzt uns. Wir schaffen uns seit Jahren bereits selber ab. Insofern ist mir die KI in vielerlei Hinsicht egal. Entweder kann ich mich mit ihr arrangieren oder sie ersetzt mich eines Tages und mir steht vielleicht sogar die Tür zu etwas Anspruchsvollerem offen. Oder ich mache was ganz anderes. Weitgehend inhaltsfreie, dafür woke Texte zu schreiben, ist eh nicht, was mir das Leben bereichert. Ach so, ja. Die Hasen sind auch künstlich generiert. Ich hoffe, ich habe genug Rechte daran, sie hier zeigen zu dürfen…

Reminder

So gesehen gestern Abend im Maxim-Gorki-Theater. Der Satz geht auf eine Performance des 15jährigen John Cage in New York zurück.