Die Buchmesse

Nein. Ich habe nicht ein Buch gesehen. Aber ich war auch nicht zum Stöbern angereist. Ich hatte einen Workshop vorbereitet, zuerst ging es deshalb auch für mich ins Kongresszentrum. Und als ich gestern, also Samstag, endlich in den Messehallen war, – voll ist gar kein Ausdruck!

Was mir gefällt: Früher waren die kostümierten Besucher*innen noch gelegentliche Hingucker. Dieses Mal waren sie – zumindest gefühlt – der Großteil des Messepublikums. Und da gab es so viel zu sehen. Aus Vorsicht, weil ich im Gewühl nicht alle fragen konnte, ob sie abgelichtet werden wollen, ist dieses Foto unscharf. Was, wie ich finde, eine ganz eigene Ästhetik hat, und der Situation vor Ort sogar gut entspricht, zumal, wenn man zum ersten Mal müde wird, und nichts sehnlicher wünscht als einen Kaffee…

Schade fand ich am Ende dann doch, dass ich nicht an die Buchstände gekommen bin. Für mich als Fazit: Nächstes Jahr werde ich nicht am Wochenende anreisen. Und vielleicht sogar selbst mal ein Kostüm wagen.

Dem Sterben zusehen

Aus dem Fernsehen sind wir einiges gewohnt. Kriegstote gehören fast schon zum täglichen Brot – zumindest in Krisenzeiten. Es ist immer ein ungutes Gefühl, das Drama im eigenen Zimmer zu haben, gleichzeitig keine – oder gefühlt unpassende – Emotionen zu spüren. Sterben wiederum ist uns fremd geworden. Selbst in Pflegeheimen bleibt das Gespräch darüber ausgespart. Man hält sich am aktuellen Zustand fest, und da ist – wenn auch nur noch wenig – Leben.

Ich habe meinen Vater in seinen letzten Monaten und Tagen begleitet. Wir hatten uns das beide anders vorgestellt: Mein Vater träumte von einem schnellen Tod im eigenen Bett, ich habe das Thema weitgehend verdrängt. Es wurde dann doch noch ein schwieriges letztes Jahr mit einer Lungenentzündung, die die ganze Lebensendzeitmaschinerie in Bewegung gesetzt hat. Krankenhaus, Heimsuche, Einzug ins Heim, enorm viele Infektionen, das langsame Wenigerwerden. Seine Angst, die einer friedlicheren Resignation wich. Die letzten Erinnerungen. Das Verstummen. Ein fünftägiges Ringen mit dem Tod. Kein Drama, eher eine körperliche Anstrengung.

Und ich war dabei. Ich hatte keine Antworten. Ich hatte eben auch kein herzliches Verhältnis zu meinem Vater. Er war mir vertraut. In dieser letzten Zeit habe ich überhaupt erst bemerkt, dass er eine schöne Stimme hatte. Manchmal habe ich versucht, mit ihm über das Sterben zu sprechen. Wenn er Angst hatte, erinnerte ich ihn an meine Mutter, und dass sie uns beiden ja tapfer vorausgegangen ist. Ich habe ihm die letzte Ölung ermöglicht, da war er noch beieinander und konnte mit dem Pfarrer sogar noch Witze machen. Und das eben auch, wir konnten hin und wieder miteinander lachen.

Jetzt denke ich, dass der eigentliche Punkt das Zusehen war. Natürlich in der Form des Daseins. Aber eben auch in der Form des Zeugnisses. Ich kann das nicht genau beschreiben. Aber es fühlt sich so an, als gehe es um das Hinschauen. Als eine Art Respekt. Vielleicht auch als ein Art, sich den eigenen Gespenstern zu stellen. Das Leben ist ein Windhauch. Was ich weiß, füllt sich mit Bildern. Die Sonne scheint. Auch das ein Windhauch nur.

Gespenster

Sie sind da. Seit mein Vater im Sterben liegt, kommen sie ganz nah. Sie umkreisten mich erst, ich wurde krank, sehr wackelig und aufnahmebereit für ihre Botschaften. Sie meinen es ernst. Jetzt kann ich einigen von ihnen ins Gesicht sehen. Sie kommen nicht oft. Die Atmosphäre um mich herum ist wie abgeriegelt. Ich höre andere Dinge. Machmal schon dachte ich, es sei ein Tinitus. Da lachen sie. Natürlich. Die Stille, die sie schicken, ist dicht wie Glas. Das Licht oft greifbar in seinen Farben. Sie sprechen manchmal gemeinsam. Aber ich verstehe sehr wenig. Ich denke dauernd, ich müsse meinen Alltag um jeden Preis fortführen. Ich weiß, dass das nicht stimmt. Etwas Wichtiges im Leben richtig machen: das lässt sich nicht auf Morgen verschieben. Das muss von Minute zu Minute bedacht werden. Ich höre sie schon wieder lachen. Und dass Menschen alles immer so ernst nehmen. Ach, denke ich, es ist halt schwierig. Aber gleich werde ich mir eine Pizza bestellen. Der Tod ist ein seltener Gast. Ich werde ein Glas auf ihn heben.

Motivation

meine hängt gerade durch wie diese weiße Tulpe im Baum. Woher nehmen? Wie ein Mantra sage ich mir vor: Es ist nicht nur Alltag, es ist auch Dein Leben. Und nein. Kein Spass. Einfach nur etwas mehr Karacho. Welche Freiheit nehme ich mir? Welche unangenehme Sache kann ich angehen (ich kenne doch das tolle Gefühl, wenn das erledigt ist!)? Wem eine Freude machen? Wo meine Nase reinstecken? Erst mal was Naheliegendes machen. In der Hoffnung, dass daraus eine Startbahn für den Tag wird…

Etwas nicht (nie) können

Ich habe gestern in der ZEIT einen Artikel über eine Amerikanerin gelesen, die seit 30 Jahren ohne wesentlichen Erfolg surft. Der Sport ist ihr Hobby. Die Geschichte wäre nicht der Rede Wert, wenn – ich meine, wir kennen alle diese Hobby-Künstler*innen, Sportler*innen, Sänger*innen, Autor*innen, die im Grunde nicht aus dem Knick kommen mit ihrem Freizeitvergnügen und stoisch auf niedrigstem Niveau weitermachen. Und eben. Ich gehöre dazu. Alles, was ich je in der Freizeit gemacht habe, scheiterte. Ich bin nie wirklich gut in etwas geworden. Es blieben Misserfolge auf der ganzen Linie. Mich hat das schon öfter beschäftigt. Auch, dass mich die Misserfolge zwar unmutig gemacht haben, aber nie wirklich entmutigen konnten. Es war eher so, als habe ich hier und da meine Nase mal reingesteckt, um zu sehen, was alles geht (halt ohne mich).

In dem Artikel ging es dann tatsächlich noch um mehr, nämlich die Frage, warum wir oft denken, wir müssten gut in etwas sein. Warum wir immer etwas können sollen. Wie oft musste ich mir anhören, es liege ja nur an mir, etwas zu lernen. Und meine Einwände, dass ich nun mal nicht handarbeiten kann oder dass mir eine Fahrradreparatur zur Katastrophe wird, wurde mit dem Einwand weggewischt, dann hätte ich mich eben nicht genug angestrengt. Man könne schließlich alles lernen.

Nein, sage ich jetzt. Ich kann nicht alles lernen. Es gibt Begabungen. Nicht, dass ich mich auf Ausreden verlegen will. Ich kann nämlich auch nicht gut putzen. Aber ich weiß, dass ich dranbleiben werde.

Der entscheidende Punkt ist aber der: Ich kann etwas nicht können, und trotzdem Spass daran haben. Weil alles, was ich versuche, Horizonte öffnet. Oder mich und meine grauen Zellen in Bewegung setzt. Ich fotografiere weiter lausig, und oft mit zweifelhaften Ergebnissen (s.o.). Aber es bleibt ein Spass, den ich nicht missen möchte, vor allem jetzt, wo die Sonne lacht. Und ihr so? Habt ihr Hobbies? Doch, ja, würde mich interessieren.

Tod und Hoffnung

Im Grunde wiederholt sich diese Vorstellung jedes Jahr, wenn auch, wie es scheint, jedes Jahr ein bisschen früher: die Wiederkehr des Lebendigen nach den dunklen Wintermonaten. Früher fand ich es schön. Mittlerweile greift mich dieses neue Wachsen tiefer an. Als Trost. Und als ein Frohsein, das über mich hinausgeht. Mir steht auch Hölderlins Begeisterung für den Frühling klarer vor Augen – oder ja, eher vor dem Herzen. Diese Hoffnung auf einen Neustart. Für die Welt und auch für mich selbst. Gerade Hölderlin jedoch zeigt, wie Verzweiflung greift, wenn einem der Frühling egal wird. Dann ist Natur eben doch nur noch ein Rad, das leerläuft.

Absolute Beginners

Wenn nicht mehr viel geht: etwas Neues anfangen. Wenn ich zurück blicke, habe ich oft zu diesem Strohhalm gegriffen. Und auch, wenn ich längst kein Allroundgenie geworden bin: hier und da mal reingeschnuppert zu haben, war nie verkehrt. Seit letztem Jahr bin ich Senioren-Balerina. Nein: Spitzentanz wird nicht mehr drin sein. Aber ich lerne Haltung, wo ich in den letzten Wintermonaten lieber formlos auf dem Sofa gelegen hätte.

Jetzt aber bin ich einem alten Traum auf der Spur: Fotografieren. Ich habe immer mal wieder intensive Zeiten gehabt. Dann alles wieder schleifen lassen und von vorne. Was ich nie gemacht habe: irgendetwas zu lernen. Das war, wenn man so will, alles doch eher „freihändig“. Eben auch, weil ich den Zufall liebe. Und eben auch darauf setze. Vielleicht ist diese alte Liebe doch größer und hätte ein bisschen mehr Engagement verdient. Mal sehen. In den Fingern juckt es mich zumindest…

Was mir nicht gut tut

Zu den festen Glaubenssätzen zeitgenössischer Großstadtbewohner*innen gehört der von der permanenten Reizüberflutung. Er besagt, dass wir täglich und auch nachts von abertausenden Reizen überflutet werden, und deshalb so gestresst sind, müde, grau und unausgeglichen. Regelmäßige Ratschläge ziehlen auf Entschleunigung, auf Wellness und alles, was uns gut tut. Ganz so, wie ich heute in einer Artikel-Überschrift las: Einen klaren Kopf behalten, indem man alles ausblendet, was einem eben „nicht gut tut“.

Echt jetzt?

Wir armen überzivilisierten Wesen haben es natürlich oft nicht leicht. Alles bunt, schnell und laut. Geschenkt. Wirksamstes Gegenmittel ist oft kurz die Augen zu schließen. Geht nicht immer. Hilft aber sofort. In der nächsten Nebenstraße ist meist auch schon gleich ruhiger. Zu Fuß gehen kann helfen, auch abends zu Hause bleiben. Aber nur noch das reinlassen, was mir gut tut?

Ich halte solche Ratschläge für schlimmste Gehirnwäsche. Denn erstens weiß ich gar nicht, was mir gut tut. Ich messe meist nur die aktuelle Befindlichkeit. Und die ist schneller verflogen, als ich gucken kann. Und es gibt ja immer wieder diese plötzlichen Zusammenstöße mit unangenehmen Tatsachen, Menschen oder Dingen, die einen ebenso plötzlich Einsichten bescheren, die uns vielleicht erst im Laufe der Zeit froher, weil gegenwärtiger machen. Oder uns auf Missstände hinweisen, die wir – zumindest für einen Moment – auflösen können (und wenn wir nur Trost spenden).

Könnte es sein, dass ich, statt mich zu fragen, was mir gut tut, einfach mal überlegen sollte, was ich gutes tun kann. Nicht um auf einen Heiligenschein zu spekulieren, sondern um mich selbst ans Ruder zu lassen, statt stets nur abzuwehren, was da auf mich zukommt. Ich habe mal wieder einen langen Arbeitstag, mal sehen, ob es funktioniert.