Die Aufregung um das Buch „Stella“ von Takis Würger ist noch gar nicht so lange her. Im Kern ging es um die Frage, wie man über den Holocaust einen Roman schreiben kann. Fiktion und historische Gegebenheiten miteinander zu mischen, ist heikel. Weil die Frage nach dem Warum laut dröhnend im Raum steht: Warum hält ein Autor oder eine Autorin diese Begebenheit für nacherzählbar? Um so heikler, wenn es sich um eine historische Figur handelt: Was soll gezeigt werden? Und warum in der Fiktion?
Die Brotfabrik hat seit Donnerstag noch einmal das Einpersonenstück „Blonde Poison“ von Gail Louw (Regie: Robert Chevara) ins Programm genommen. Wie bei Takis Würger steht auch hier Stella Goldschlag im Zentrum, hier erzählt sie ihre Geschichte selbst, das heißt, sie setzt immer wieder an, verstummt, springt, schweigt. Schnell wird klar, dass nicht nur eine historische Figur spricht, sondern eine Frau wie Du und ich, eine Frau, die als junges Mädchen in die Vernichtungsmaschinerie der Nazis gerät, alle Gefahren durch Verrat übersteht und am Ende des Krieges mit 24 Jahren als moralisch gefallener Mensch in den Rest ihres Lebens entlassen wird.
Dass das nicht zur banalen Erkenntnis verkommt – in schlimmen Zeiten machen sich alle die Finger dreckig – liegt an dem Skript von Gail Louw und an Dulcie Smart, die in der Rolle der Stella zu sehen ist. Was macht dieses Stück so beeindruckend, das heißt, so beeindruckend unpathetisch und gleichzeitig atemraubend, frage ich Dulcie Smart nach der Aufführung am Freitag: „Seine Vielschichtigkeit,“ ist ihre spontane Antwort. Dulcie hat sich sorgfältig auf die Rolle vorbereitet, als Schauspielerin möchte sie ihre Figur verstehen, „you own your character“, sagt sie, und das bedeute, dass sie sich anverwandelt und hinter dem Text nach den Motivationen der Figur sucht. Dabei ist der Blick doppelt: Zum einen ist da die Stella aus Louws Stück und die historische Figur, eine unsympathische Person, die am Ende ihres Lebens, kurz vor ihrem Selbstmord, noch ein Interview gibt, in dem sie hartherzig und verbittert klingt.
Der Unterschied liegt im „Anverwandeln“, das etwas anderes ist als „Verstehen“: „Macht und Schönheit sind für mich die beiden Energiezentren der Figur“, so Dulcie, „die fragile Macht der Schönheit, aber auch die gefährliche Macht, über Leben und Tod zu entscheiden.“ Gefährlich übrigens nicht nur für die Opfer, sondern für Stella selbst, die an dieser Entscheidung (größen)wahnsinnig wird. „Stella wächst in einem bildungsbürgerlichen jüdischen Milieu in Berlin auf, ihr Familiensinn ihr Humor hat sie von dort, gleichzeitig sehnt sie sich nach etwas Besserem“. Ihre blonde, blauäugige Schönheit verspricht einen Aufstieg, der eben nicht nur der aus der jüdischen „Mischpoke“ hinaus führt, sondern auch an die Spitze eines glamourösen Jetsets: Sie könne alles werden, versprechen „Vati“ und „Mutti“, und als Stella auf die Modeschule geht, scheint der Traum von „Stella Diva“, der international erfolgreichen Modeschöpferin greifbar.
Dass die Geschichte anders weitergeht, wissen wir. Aber dass wir auch Klischees aufsitzen, wird deutlich, wenn wir die Fakten betrachten: „Stella hat zwischen 1943 und 1945 18 Monate lang als >Greiferin< gearbeitet, sechs davon nur halbherzig. Sechs ihrer Opfer sind namentlich bekannt, woher die Zahl 3.000 ist, lässt sich nicht belegen. Wir wissen, dass sie auch Menschen gerettet, das heißt, nicht verraten hat. >Greifer/innen< mussten sich nach dem Krieg für ihre Beteiligung an der Deportation der Berliner Juden vor Gericht verantworten. Nicht jedoch die Mitarbeiter an den zuständigen Gestapoleitstellen.“
Wo liegt die Schuld? Eine Frage, die sich schwer beantworten lässt. Stella ist schuldig, aber wird noch während des Krieges einer unerbittlichen Hexenjagd unterzogen. Der Name Stella ist zu einem Synonym für Monster geworden, und es geht in dem Stück keineswegs darum, zu zeigen, dass sie auch nur ein Mensch war. Wo liegt Schuld? Diese Frage bewegt schon die antiken Autoren, denen wir das Format der „Tragödie“ verdanken. „Blonde Poison“ ist eine durch und durch zeitgenössische Tragödie, eine ohne erhobenen Zeigefinger und ein erstaunlich kurzweiliges und zum teil auch witziges, augenzwinkerndes Stück. Und als Tragödie – um auf den Anfang zurückzukommen – ein sicher adäquateres Stück als ein Roman. Ich muss es sicher kaum noch sagen, dass ich allen rate, in der Brotfabrik vorbei zu schauen…
„Blonde Poison“ – Tickets: http://www.brotfabrik-berlin.de – noch bis zum 10. März