100 Jahre Frauenwahlrecht (verspätet)

Der Jahrestag war am 12. November – und (immerhin): Berlin hat sich jetzt ein Geschenk damit gemacht, denn der „Frauenkampftag“, wie der 8. März ursprünglich mal hieß – er war ein wichtiger Termin bei der Durchsetzung des Frauenwahlrechts – ist ab nächstem Jahr der neue zusätzliche Feiertag in Berlin. Hoch die Tassen!

Es ist wichtig, es ist richtig, es ist gut – und es ist nach wie vor zum Heulen. In der französischen Revolution mussten Frauen ihren Kopf hinhalten (wörtlich!), wenn sie Gleichheit, Freiheit, Bürgerlichkeit auch auf ihre Fahnen schrieben. Mir bleibt immer wieder eine Fassungslosigkeit, wenn ich höre oder lese, wie selbstverständlich Frauen in unserer westlichen aufgeklärten Welt diskriminiert wurden – und wie selbstverständlich das bis heute weitergeht. Mittlerweile leidet die gesamte Gesellschaft an dem immer noch herrschenden Konzept des Familienernährer-Gehalts, das vorsieht, Männer als eben solche zu bezahlen, damit sie ihre Familie durchbringen können. Das führt nicht nur zur bis heute nicht überwundenen ungleichen Bezahlung verschiedener – vorgeblich – Männer (=Produktions)Berufen und Frauen(care-)Berufen, sondern überhaupt zu einer Entwicklung hin zu zu gut und zu schlecht bezahlten Jobs.

Es ist nach wie vor zum Heulen, wie wir uns so viel Power wegnehmen, indem die Hälfte der Bevölkerung als minderwertig deklariert wird. Männer und Frauen sind gut und gerne unterschiedlich. Aber wann kommen wir endlich dahin, diese Unterschiede in ihrer ganzen Vielfalt auch zu nutzen? Weiterhin Star Trek gucken, reicht natürlich nicht. Feindbilder aufrecht erhalten auch nicht. Um noch mal Berlin zu loben: Hier sind deutschlandweit die meisten Frauen in Chef-Etagen und Vorständen zu finden: ca. 40% während es im übrigen Bundesgebiet erst um die 13% sind. Schön, hier zu leben. Doch reicht nicht. Wir sind noch lange nicht fertig mit dem Thema. Dass Gleichheit nicht Gleichmacherei bedeutet (oder dass Frauen dadurch nicht automatisch zu Männern werden – was ist das schon wieder für eine Fantasie!), muss ich hoffentlich nicht extra betonen. Ich hätte auch gerne an dieser Stelle noch etwas über die schöne Farbe Rosa geschrieben. Aus Zeit- (bzw. Nicht-Zeit)-Gründen muss ich das knicken. Ich hoffe, das Foto spricht für sich…

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 6

  1. wechselweib 28. November 2018

    Ich würde sogar sagen, zur Zeit erleben wir einen Rückschritt: viele meiner Schülerinnen beschäftigen sich exzessiv mit Styling und Schminktutorials und interessieren sich auffällig weniger für Politik als die Jungs. Und auch auffällig weniger als vor meinem Berufsseinstieg vor 18 Jahren. Auch erschließt sich mir nicht, was an Nackte-Brüste-Zeigen, auch wenn „Femen“ draufsteht, feministisch sein soll. Klar, man kriegt so Aufmerksamkeit, aber die kann man sich auch anders holen.

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    • Stephanie Jaeckel 28. November 2018

      Ja, die Beobachtung mache ich auch. Dennoch denke ich, dass es fruchtlos ist, Schminktutorials gegen Politik auszuspielen. Am Ende ist auch das eine Weiterführung von Vorurteilen. Tatsächlich fällt mir in meiner SPD-Abteilung auf, dass die am besten gestylten Frauen auch zu den besten Redner/innen gehören. Das mag ein großer Zufall sein, aber es zeigt, wie wenig Vorurteile taugen. Wahrscheinlich ist Mut, Engagement, Gesicht zeigen (ob geschminkt oder nicht), das wesentliche Kriterium. Und wieso zeigst Du nackte Brüste?

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      • wechselweib 28. November 2018

        Ich meinte die Femen-AktivistInnen. Ich zeige meine Brüste nicht. Meine Brüste im Profil sind Dessert. 😉Und da geht es mir humoristisch um positives Körpergefühl, was leider immer noch eine Seltenheit ist. Vielmehr kann man fast jede Frau mit einer Bemerkung über ihr Äußeres mundtot machen. Es freut mich, wenn die SPD-Frauen gestylt UND rhetorisch fit sind. Das lässt hoffen. 🌈
        Ich wollte nicht gegeneinander ausspielen, nur zugespitzt eine Tendenz beschreiben, die ich wahrnehme und die mich betrübt. Auch alle Spiegel-Wissen-Tests ergaben, dass Frauen sich signifikant schlechter in Politik und Geschichte auskennen als Männer. Warum nur?
        Ich versuche jeden Tag das zu ändern. Mal mit mehr mal mit weniger Erfolg. Aber bei aktuellen Dingen außerhalb des Unterrichts wissen Jungs durch die Bank besser Bescheid.

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        • Stephanie Jaeckel 28. November 2018

          Klar, im Zusammenspiel mit dem Namen Wechselweib ist so ein Dessert natürlich nur ein Dessert 😉 Und wo es Dir humoristisch um ein positives Körpergefühl geht, geht es den Femen-Aktivistinnen möglicherweise um die Kopplung von Konsumartikeln mit nackten Frauenkörpern. Frauen sind Dekoration, möglicherweise auch Desserts in einer von Männern beherrschten Welt. Was aber, und das ist gar nicht mal so unhumoristisch, wenn sich diese hübschen Frauenkörper plötzlich politisch und sogar kritisch äußern. Und nicht mehr brav stillhalten, sondern den Betrieb stören. Ich verstehe das zumindest so. Mir scheint, dass zur Zeit auch witzige Zitate wie Puddingbrüste keine „unschuldige“ Äußerung sein können. Ich denke, ich verstehe gut, was Du mit einem positiven Körpergefühl meinst, und gerade das ist ja auch ein wesentlicher Schritt zur Emanzipation. Es ist nur möglicherweise ebenso heikel, wie junge Frauen, die nackt durch Live-Berichterstattungen flitzen.

          Ich habe beim Spiegel-Wissenstest meist eine höhere Punktzahl als der Durchschnitt. Mir reicht das. Aber was ich nach wie vor erstaunlich finde: Dass ich jedesmal Angst vor dem Test habe, weil ich fürchte, meine ganze Unwissenheit würde jetzt zu Tage treten. Ich habe erst als erwachsene Frau angefangen, Zeitung zu lesen, und politische Themen über Wochen, Monate, Jahre zu verfolgen. Es war mir vorher immer so, als sei das nicht meine Welt (ich gehöre noch zu den Mädchen, die bei Tisch zu schweigen hatten…) Hier liegt sicher nach wie vor ein Grund: Wir Frauen können uns schließlich bei Tee und Kaffee auch über Politik, Wirtschaft und Forschung unterhalten – und sollten das wirklich endlich tun, womit ich mich selbstverständlich auch meine…

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    • Stephanie Jaeckel 28. November 2018

      Ja, ich denke auch, wir sind noch unterwegs, und zwar noch lange. Wenn ich jedoch bedenke, dass meine Mutter meinen Vater noch um Erlaubnis fragen musste, als berufstätige Frau ein eigenes Konto zu eröffnen, habe ich den Eindruck, wir haben mindestens schon eine Weltumrundung hinter uns. Für meine Mutter war es undenkbar, Hosen zu tragen. Für mich ist es – zumindest in den kalten Jahreszeiten – längst undenkbar, Kleider zu tragen, zumal ich mit dem Rad (einem Herrenrad) unterwegs bin. Wir sind ungeduldig, weil sich unsere Zeit auf der Erde drastisch zu verkürzen scheint. Als Menschen haben wir vieles zerstört, da scheint Hilfe nur noch aus gemeinsamer Anstrengung möglich. Über nationale Grenzen hinweg, aber auch über die Geschlechtergrenzen. Am Ende werden wir jedoch weiterhin Geduld haben müssen. Wenn ich ehrlich bin, und bei allem Zorn, den ich ob aller Ungerechtigkeiten habe, mir wird jeden Tag aufs Neue bewusst, wie sehr ich selbst noch dieser Geschlechterpolarität aufsitze. Bleiben wir also dran. Steter Tropfen höhlt den Stein. Ich bin trotz allem doch auch immer wieder optimistisch.

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