Beiläufig bin ich dort gelandet, wo für viele seiner Leser/innen – auch schon zu Lebzeiten – die Tür verschlossen blieb: Im Arbeitszimmer von Thomas Mann in seinem Haus in Kalifornien. Hier hat Mann (u.a.) den Doktor Faustus geschrieben, das Buch, das ich in der Schule lesen musste, und das ihn mir für immer verleidet hat. Nein. Ich werde es nicht nochmal hervorholen – zumindest nicht in absehbarer Zeit und ja, ich weiß, dass ich mich irre. Aber ich mag es nicht. Genauso wenig wie ich die Buddenbrooks mag, oder den Zauberberg. Dass ausgerechnet ich in dieses Heiligtum geraten war, beschämte mich: ich hatte den Zufall nicht verdient. Deshalb lese ich jetzt die Tagebücher, die Thomas Mann in Kalifornien geschrieben hat. Und was soll ich sagen: In den Tagebüchern gefällt er mir: Thomas Mann mag Wetter und schreibt darüber (ein bisschen wie Nick Cave), er mag die kalifornische Luft, die Blumen, das Licht und natürlich das Meer, was mir sympathischer ist als alle schön gesetzten Sätze und Beobachtungen in seinen Romanen und Erzählungen.
Ich lese die Bände aus den Jahren 1946-48, die anderen waren gerade ausgeliehen – ich schätze Unordnung beim Lesen… Thomas Mann ist damals schon ein alter Mann. Er schläft schlecht, erholt sich dort, wo ich mit der Lektüre beginne, gerade von einer Operation, er hat Wehwehchen und Schlimmeres, er raucht, trinkt und nimmt munter alle möglichen Medikamente. Es ist, als würde er durch zwei Welten gehen, durch die extrem hellen kalifornischen Tage mit ihren Frühstücksstunden auf der Terrasse, dem Tee mit K., wie er seine Frau ausschließlich nennt, den Spaziergängen, den Gesprächen mit Freunden und Kindern, der Musik, der Lektüre (was er noch alles nebenher liest!) und natürlich der Arbeit, von der er jedoch nichts weiter schreibt, als das er sie erledigt hat. Die Schmerzen, die Verzweiflungen treiben ihn nachts. Oft geht er zu seiner Frau ins Schlafzimmer und döst dort auf einem Stuhl ein. Dieses Arbeiten, Leben, Genießen aus dem immer älter werdenden Körper, das berührt und beeindruckt mich. Es gefällt mir sogar. Was soll ich sagen? Jetzt habe ich Thomas Mann doch noch für mich entdeckt. Und freue mich über ein fantastisches Urlaubsmitbringsel!
Das Foto zeigt den Blick aus dem Salon durch den mittlerweile wieder abgerisseneren (und auch nicht ursprünglichen) Wintergarten in den Garten. Die Tür links führt ins Arbeitszimmer von TM.
wildgans 3. April 2018
Wie gerät man „beiläufig“ an einen solchen Ort?
Interessant ist T.M. auf jeden Fall.
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Stephanie Jaeckel 3. April 2018
Ich gebe zu, man muss schon hinfahren – und das ist tatsächlich alles andere als beiläufig. Aber ich habe mir keine Gedanken gemacht, ob es taktisch günstige Zeiten geben könnte, um in ein Haus zu gelangen, das gerade renoviert wird. Und als die Zufahrt offen stand, bin ich einfach rein. Und als die Arbeiter nicht weiter guckten, bin ich ins Haus und stand dann im Arbeitszimmer, ohne es zu wissen (obwohl die Regale und Einbauschränke schon auf so etwas wie eine Bibliothek hinwiesen). Das war wirklich so die Methode „blindes Huhn“. Dennoch bin ich jetzt natürlich sehr froh.
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Lesen... in vollen Zügen 4. April 2018
Eine tolle Geschichte!
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tantemasha 3. April 2018
Und dieser Text ist mir jetzt wiederum sehr sympathisch. 🙂
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Stephanie Jaeckel 3. April 2018
Ach, danke!!! Seit Tagen schon verfolgt mich das Gefühl, ich könne weder gerade denken, noch irgendwas schreiben. Als hätte ich lauter Gitter im Kopf (allerdings habe ich heute tatsächlich Migräne). Schön, dass doch was rüberkommt, und dass es Dir gefällt 😉
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tantemasha 4. April 2018
Oh nein, Migräne du altes Biest!! Dann um so schöner, wenn du sie überlistet hast.
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Stephanie Jaeckel 4. April 2018
Groß machen, Nackenhaare aufstellen und laut brüllen: UAAAHHH!!! – und danach ein Schmerzmittel nehmen …
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Myriade 4. April 2018
Interessante Hinweise zur Bekämpfung von Migräne, und ich dachte da liegt man in verdunkelten Zimmern herum 🙂
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Stephanie Jaeckel 4. April 2018
Pah! Kalter Kaffee… – nee, ich hab das Glück, mit den Wechseljahren deutlich leichtere Anfälle zu bekommen. Da reichen Schmerzmittel meist. Allerdings, doch: früher als sonst ins Bett gehen, muss sein. Aber mal laut rumschreien, ich meine, wer freut sich schon, wenn eine Migräne vorbeischaut. So viel Zeit muss sein…
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Myriade 4. April 2018
Unbedingt 🙂
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finbarsgift 4. April 2018
Was für ein Weg zu Thomas Mann, toll!
Ich habe (leider) immer noch keinen zu ihm und seinem Werk gefunden…
Vielleicht sollte ich auch mal in seinen kalifornischen Tagebüchern lesen…
Liebe Morgengrüße vom Lu
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Stephanie Jaeckel 4. April 2018
Hm, ja. Wobei ich tatsächlich über den Ort gekommen bin. Ich habe eine immense Kalifornien-Begeisterung entwickelt. Insofern ist mir Thomas Mann an der Stelle wirklich nah. Die Tagebücher sind, nach literarischem Maßstab enorm langweilig. Aber komischerweise gefällt mir das enorm. Schau auf jeden Fall mal rein. Besser wäre natürlich (zumindest aus meiner Sicht), gleich mal nach Los Angeles zu fliegen (haha).
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finbarsgift 4. April 2018
Lächel…ich habe schon mal drei Jahre in den USA gelebt, das hat mir gereicht, ein Jahr davon in San Diego, wo es sehr schön war…
Liebe Frühlingsgrüße vom Lu
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Stephanie Jaeckel 4. April 2018
Wow! Drei Jahre, ob ich das auch noch schaffe??? Na, dann weißt du ja ungefähr, von was Thomas Mann schreibt, wenn er vom Wetter spricht usf. Aber tatsächlich hat mich dieses Nebeneinander von einem so durchorganisierten Leben (man könnte bei den Manns fast von einer frühen Form der Factory sprechen) und den Schrecken des Alters sehr überrascht und eben auch für ihn eingenommen.
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finbarsgift 9. April 2018
Vielleicht sollte ich DOCH mal einen der großen Romane von ihm zu ENDE lesen…
beim Zauberberg, Buddenbrooks sowieso und Dr. Faustus bin ich immer nach nur wenigen Seiten zutiefst eingeschlafen *g*
In Kalifornien war es mir viiiiel zu sonnig; keine Abwechslung beim Klima finde ich gähnend langweilig…
Liebe Frühlingsgrüße vom Lu
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Stephanie Jaeckel 9. April 2018
Ich hatte in Kalifornien auch Wolken und Regen. Und ich muss sagen, die Wolkentage (also die ohne Regen) waren auch sensationell. Weil das helle Licht eben gefiltert ankam und die Landschaft plötzlich weich zeichnete. Aber, nun gut, ich war im Urlaub, aber die Sonnentage fand ich natürlich auch prima…
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finbarsgift 9. April 2018
Ich hatte das gesamte Jahr über, das ich dort lebte, ausschließlich die pralle Sonne, die mich mit der Zeit zu nerven begann…
einzige feine Ausnahme waren zwei Regentage im Februar 🙂
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christahartwig 4. April 2018
Hach, das passt ja. Ich habe mir gerade „Mein Vater der Zauberer – meine Liebe das Meer“ – ein Gespräch, das Wolf Gaudlitz 1999 mit Elisabeth Mann Borgese im Auftrag des Bayerischen Rundfunks geführt hat, bestellt.
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Stephanie Jaeckel 4. April 2018
Eine schöne CD, wo vor allem Elisabeths „Hundies“ eine lustige Rolle spielen. Und die sitzt ja in Kanada, auf einem hohen Felsen über dem Meer, als das Interview gemacht wird. Auch ein toller Ort, der Fernweh weckt. Die Manns wussten jedenfalls, wo es schön ist.
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christahartwig 4. April 2018
Allerdings.
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Elisabeth Lindau 4. April 2018
Schön, dass du deine Entdeckung mit uns teilst. Ob „verdient“ oder nicht, du weißt diese Entdeckung doch sehr zu schätzen. Es freut mich auch, dass es noch eine Seite an Thomas Mann zu entdecken gab, die deine Neugier weckt und dir Freude macht. Elisabeth Mann Borgese war eine sehr beeindruckende Frau, von bewundernswerter Energie – und natürlich mit vielen Lachfalten …
Danke für die Anregung und Buchempfehlung.
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