Wenn es grau bleibt,

fotografiere ich mir die Sonne eben selbst. Ein UFO wäre natürlich noch besser. Zum Beispiel eins mit Mr. Spock an Bord. Aber seit ich gelesen habe, dass Stephen Hawking sich vor Außerirdischen fürchtete, bin ich skeptisch geworden. Vielleicht kann man sich nur in großer Unwissenheit solche Naivität leisten?

Gerlind Reinshagens Gedichtband „Atem anhalten“ liegt jetzt auch auf meinem Schreibtisch. Ich habe mich gefreut, auf der Rückseite eine begeisterte Notiz von Peter Handke zu dem Gedicht „Annäherung an eine Person“ zu lesen, dem Gedicht, dass mich bei der Lesung am weitesten aus der Bahn geschossen hat.

Und wo wir bei Büchern sind: Sie sind auch Sonnen in ansonsten grauen Zeiten. Ein schon auf dem Cover sonniges Buch ist zum Beispiel „Martha auf dem Schwein“ von Doris Bewernitz. Es ist in der Berliner edition naundob erschienen, einem Verlag, der sich auf Bücher in Einfacher Sprache spezialisiert hat. Wer öfters die „Klunker“ liest, weiß vielleicht, dass ich mich für meine Arbeit mit Leichter Sprache vertraut gemacht – und mich dabei regelrecht in diese Art des Schreibens und Sprechens verliebt – habe. Um so erstaunter bin ich, dass mir aus dem Freundeskreis Kritik entgegen prasselt. So zu schreiben sei arrogant. Man erhebe sich einmal mehr über „Behinderte“ und gebe jetzt auch noch Inhalte vor oder die Art, wie Welt zu verstehen sei. Ehrlich?

Ich fühle mich angegriffen. Denn wenn ich in Leichter Sprache schreibe, denke ich nicht daran, anderen zu zeigen, wo der Hammer hängt. Es ist ein großes Vergnügen, reduziert zu arbeiten. Ich würde so weit gehen, es mit Poesie zu vergleichen. Dort ist zwar nix reduziert, dafür aber sehr reglementiert. Und – doch. Leichte Sprache wird ähnlich wie Gedichte in Zeilen geschrieben. Das heißt: ein kurzer Satz pro Zeile. Ich finde das unglaublich schön. Auch für die Sprachdiktion (also fürs laute Lesen).

Außerdem heißt es ja nie und nirgends, dass jemand, der einen Text in Leichter oder Einfacher Sprache liest, nicht auch andere Texte lesen darf, kann oder soll. Umgekehrt hat es mir großen Spass gemacht, das schmale Buch von Doris Bewernitz zu lesen. Es geht darin um Martha, die dement ist und im Heim ihren 90 Geburtstag feiert – oder besser: gefeiert wird. Denn sie selbst ist von dem Trubel nicht gerade begeistert und hängt lieber ihren Erinnerungen nach. Erinnerungen an ein durch und durch „normales“ Leben einer Frau, die den 2. Weltkrieg erleben musste und danach in die DDR aufgeteilt wurde. Die hart arbeitete, vier Kinder hatte und stets im Kleinen zurecht kommen musste. Die darin Glück suchte und – Überraschung: auch fand.

Bieder? Dann singe ich jetzt eben ein Lied auf die Biederkeit. Denn diese Lebensgeschichte zu lesen, hat mich an meine Mutter erinnert, und an die Realität so unzählig vieler „kleiner Frauen“ aus der Generation vor mir, die mir mein Leben mit Studium und Auslandsaufenthalt noch während der Schulzeit ermöglicht haben. Die Sonne über Sonne malten, wenn es draußen mal wieder grau war.

Vielleicht – und das mag von mir der einzige Einwand sein – sind solche Geschichten noch zu didaktisch erzählt. Tatsächlich wäre mir lieber, ein einfaches Leben müsse gar nicht verteidigt werden gegen große und erfolgreiche Biografien. Es müsse keine entfremdete, dem modernen Lifestyle angepasste Tochter her, um das Einfache zu feiern, oder angesichts einer dementen Frau verstörte Verwandte, von denen sich nur ein sechzehnjähriges sommersprossiges Mädchen erholsam abhebt. Dennoch: die Verlegerin sagte mir, Leser/innen hätten sich daran gestoßen, dass hier so offen über „Peinlichkeiten“ geschrieben werde. Zum Beispiel davon, dass Martha die Namen ihrer Kinder vergisst. Oder dass sie so vergnügt auf einem Schwein reitet (zumindest auf dem Cover). Wir sind noch erstaunlich weit am Anfang, was Demenz angeht oder das Leben mit Menschen, die sich nicht an den üblichen Leistungsanforderungen messen lassen (möchten).

Draußen bleibt es wohl auch übers Wochenende grau. Zum Glück habe ich von meinem Ausflug nach Leipzig einen Stapel neuer Bücher mitgebracht. Für genug Sonne ist also gesorgt…

Doris Bewernitz, Martha auf dem Schwein, edition naundob, 12,50 €

 

Filed under: Allgemein, Rezension

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 5

  1. christahartwig 24. März 2018

    Ja, das ist schon unschön, wenn einem Entgegenkommen als Arroganz ausgelegt wird.
    Übrigens habe ich über eine Vereinfachung der Sprache im Sinne von Barrierefreiheit noch gar nicht nachgedacht. Was mir aber aufgefallen ist, hat (zumindest in gewisser Weise) auch mit sprachlicher Barrierefreiheit zu tun, nämlich dass es zunehmend Texte gibt, mit deren fast fehlerfreier Übersetzung ein Programm wie Google Translate nicht die geringsten Schwierigkeiten hat, während andere Texte nach wie vor etwas verdreht und verknotet aus dem Übersetzer kommen. Das muss daran liegen, dass die erstgenannten Texte – bewusst oder unbewusst – vereinfacht wurden. Und natürlich reduziert man die Sprache dadurch in ihren Möglichkeiten, auch wenn man sie quasi internationalisiert. Mit Arroganz hat das aber nichts zu tun.

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    • Stephanie Jaeckel 24. März 2018

      Nein, ich glaube ich nicht, dass Vereinfachung Möglichkeiten reduziert. Die Bibel ist zum Beispiel extrem einfach geschrieben, und für meine Begriffe größte Literatur. Ich hatte letztes Jahr die Gelegenheit, zwei Texte von mir in englischer Übersetzung zu lesen. Hätte ich sie nicht selbst geschrieben, ich bin nicht sicher, ob ich sie verstanden hätte. Andererseits: hätte ich sie selbst in Englisch geschrieben, wären es andere, einfachere Texte geworden. Denn ich selbst denke ja in anderen Sprachen auch anders. Ich vermute, dass der Sprachrhythmus viel mit der Schönheit eines Textes zu tun hat. Der lässt sich möglicherweise nicht so einfach über das gewählte Vokabular oder die Satzstruktur entschlüsseln. Könnte sein, dass mir genau dieser von Dir aufgebrachte Aspekt bei der Sache wichtig ist und zwar in folgendem Sinn: Dass Vereinfachung nicht minderwertig ist. Sondern eine Kunst.

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      • christahartwig 25. März 2018

        Das kann man unterstreichen: Vereinfachung ist eine Kunst, und wie jede Kunst, bedarf sie der Übung und Sorgfalt. Es ist nicht damit getan, in möglichst kurzen Sätzen möglichst häufig gebrauchte Wörter zu verwenden.

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