Zeichnungen aus 40 Jahren, „to be continued“ – Frank Taffelt in der Berliner Galerie Inga Kondeyne

Handarbeit ist ein Begriff, dessen ursprüngliche Bedeutung im digitalen Zeitalter wieder nach vorne rückt, zumindest scheint es mir so: Handarbeit im Sinn eines nicht-maschinellen Tuns. Dennoch mögen die meisten nach wie vor Textilien vor Augen haben. Oder Frauen, die häkeln, stricken, weben.

Textilien, Fäden, Garne, Wolle, die verarbeitet, zu Flächen werden. Die ihrerseits, proportioniert, vernäht, als Kleidung dienen, Wand- oder Bodenschmuck bzw. Dämmung.

Textile Handarbeiten, ein schmaler Grat zwischen Noch-Nichts und Etwas. Eine stete Wiederholung. Geborgene Zeit.

In der akademischen Tradition westlicher Kunst entspricht die Zeichnung dem Geistesblitz, der Idee, einer Vision. Im 19. Jahrhundert stand sie im künstlerischen Wettkampf gegen die Malerei, die Gefühl, Atmosphäre und, sagen wir, Sound verkörperte. Was aber, wenn einer mit dem Zeichenstift anfängt zu malen? Abstrakt zu malen?

Frank Taffelt arbeitet ausschließlich mit Kugelschreibern. Anfangs gerne auch in den Farben Rot und Blau, heute meist in Schwarz. Er erobert Flächen. Vorab genau abgesteckte Terrains, manchmal kaum eine Hand breit, dann groß wie ein Buch, ein Folioband gar.

Und jetzt gilt es genau hinzuschauen. Denn der Untergrund, die eroberte Fläche zählt. Und erzählt. Von Taffelts Herkunft zum Beispiel aus Bautzen. Von der Großmutter, die einen Laden hatte, von Kindheitstagen, in denen Papier gesammelt wurde, von im Sonnenlicht über die Jahre verblassten Passepartouts abgehängter Bilder oder Erinnerungen auf nicht verschickten Ansichtskarten.

Doch was passiert, wenn er den Kugelschreiber zum Überzeichnen der aufgehobenen oder gefundenen Pappen, Kartons, Papiere zückt? Die Fläche absteckt, mit der oft sehr kleinteiligen Strichelarbeit beginnt? Denn auch wenn er übermalt bzw. überzeichnet, ist es keine Geste der Eroberung. Verfremdung wäre eine erste Idee. Veredelung eine zweite, denn die neuen Flächen sind spiegelglatt und reflektieren das Licht, das auf sie fällt. Auch Verdichtung, denn wie in einem Speicher sammelt sich Zeit in den Flächen an.

Tatsächlich lässt mich das stete An- und Aufeinanderlegen kleiner Striche, das gewebeartige Geflecht, das daraus entsteht, an Penelope denken, die listenreiche Gattin von Odysseus, die mit ihrer Webarbeit Zeit überbrückt und sogar dehnt, indem sie nachts die tagsüber gewebten Stücke wieder auftrennt. Ich sehe endlose griechische Sommernachmittage, die sie zu Flächen verwebt, vor dem Verrinnen geborgene Zeit. Die sie nachts jedoch verloren gibt. Aber da hat sie ihre triftigen Gründe.

Frank Taffelt trennt nichts auf, radiert nichts. Selbst Fehler – wie ein auf die Malfläche abgestelltes Rotweinglas, das Flecken hinterlässt – werden eingewebt. Und die Tatsache, dass manche Malunterlagen leiden, mürbe werden unter dem Ansturm des Kugelschreibers, ausleiern, die Form verlieren, hauchdünn werden oder Wellen schlagen, wird von ihm angenommen und keineswegs begradigt, eliminiert. Er verändert und akzeptiert gleichzeitig. Vielleicht liegt hier auch ein Hinweis, denn wenn es keine Eroberung ist, ist es vielleicht eine Kontaktaufnahme oder ein Dialog.

Aus neuster Zeit stammen Reliefs, auch sie aus „Altpapier“, auch sie filigrane Fleißarbeiten, die an Textilien erinnern. Oder an Architekturen, beziehungsweise Architekturmodelle. Und die Schatten werfen, statt Licht reflektieren, und so ebenfalls – wenn auch äußerst dezent – in den Raum ausgreifen.

Was wäre wenn? Zum Beispiel Aliens diese Reliefs als Reste einer untergegangenen menschlichen Zivilisation finden würden? Hätten sie Antennen für den lyrischen Ton der Werke, deren Schönheit und gleichzeitig deren Angebot, über Zeit, Handarbeit und von da aus über die conditio humana insgesamt nachzusinnen? Veredelung von Übriggebliebenem zu erkennen oder Fragen nach Wert oder Funktion zu stellen? Mir gefällt die Vorstellung, dass diese stillen Arbeiten als eine Art Zeitkapseln ins All reisen. Ich sehe sie in neuem Licht, wenn sie vor Wesen mit ganz anderen Wahrnehmungsmöglichkeiten stehen als komplexe Denkfiguren, die sie sind.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 25. März

Foto: Pedro Moreira

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

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