Wer im westlichen Wohlstand lebt, mag damit ein Problem haben. Wir können, selbst als Kreuzberger Prekariat, mit den Fingern schnippen, und uns etwas Gutes tun. Quasi jeden Moment unseres Lebens. Und wenn wir nur das Licht anschalten oder den Wasserhahn aufdrehen.
Der Krieg in der Ukraine hat mich gerade auf diese – vermeintlich kleinen – Dinge wieder aufmerksam gemacht. Aber – und das ist schon der erste Punkt: „pleasure“ muss nicht unbedingt etwas mit Konsum zu tun haben.
Ich frage mich eigentlich schon immer, wie ich ein Leben zwischen Pflichten und Vergnügungen organisiert bekomme. Ich gehöre zur westdeutschen Nachkriegsgeneration, die mit dem unsichtbaren, weil nie offen besprochenen Kriegstrauma groß wurde, und „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ verinnerlicht hat. Ich habe gar nix gegen Pflichten oder Arbeit. Mir schwant nur, dass diese Gegenüberstellung falsch ist. Pflicht ist Pflicht. Vergnügen ist Vergnügen.
Wir haben aber gelernt, dass Vergnügen Ablenkung ist. Dazu egoistisch. Wer ans Vergnügen denkt, denkt nur an sich selbst. Ist das wirklich so?
Vergnügen ist Horizonterweiterung. Genau wie Lernen. Zum Beispiel. Vergnügen lässt sich teilen. Mit Freund*innen und mit Leuten, die zufällig gerade auch da sind. Vergnügen macht glücklich. Und Glück ist leicht weiterzugeben. Vergnügen schenkt uns Ruhe und Kraft. Vergnügen öffnet zu Stein gewordene Herzen: Wer lacht, kann gar nicht missmutig sein.
Auf meiner Reise habe ich mich vergnügt erlebt. Von morgens bis abends. Und ich wurde kein Ungeheuer. Im Gegenteil. Zurück zu Hause liegt viel Arbeit vor mir. Die kann ich nicht des Vergnügens wegen einfach mal zur Seite schieben. Aber ich kann sie vergnügter angehen. Und weiter?
Ich weiß es noch nicht. Was mir von der Reise bleibt, ist der Aufruf „Take your pleasure seriously“. Auch wenn er nur die Reklame für ein Restaurant ist. Denn wenn „pleasure“ vielleicht nicht so nötig ist wie die Luft zum Atmen, dann doch sicher so wichtig wie der Sonnenschein, ohne den ich vermutlich eingehen würde, wie eine empfindliche Primel.
brigwords 30. März 2022
Da kann ich dir mit jedem Satz beipflichten 😀
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Grinsekatz 30. März 2022
Kommt mir alles sehr vertraut vor.
L.G., Reiner (Jg.62)
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Myriade 30. März 2022
Danke für das Lob der Freude und des Vergnügen,
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