Nachtleben

Vielleicht die größte Überraschung nach dem Kauf meiner Kamera: Ich fotografierte jetzt auch nachts. Nein. Nicht im Dunkeln. In meinen Träumen.

Tagsüber ist die Kamera mein Gedächtnis. Weil ich kein Tagebuch schreibe, fotografiere ich.

Atmosphäre. Denn auch wenn sich Katze oder Maus, Kind und Kegel, Haus, Baum, Strauch auf den Fotos zeigen, sind es Farben, Gerüche, Schnappschüsse – manche gelungen, viel Banales.

Kurz nachdem ich die Kamera hatte, fing es an. Eine Nacht träumte ich von schwebenden Bäumen, deren Wurzeln wie die Äste der Baumkronen ins Himmelsblau griffen. Ich lief über eine sonnige Ebene, die Bäume glitten über mir hinweg, mit weichen Schatten, die ihnen am Boden folgten. Ich griff zur Kamera und fotografierte.

Echt jetzt?

Bis heute!

Fliegende Bäume?

Nein, die sind mir nie wieder begegnet. Dafür oft stürmische Tage am Meer. Gerade letzte Nacht sah ich Wellen, die über Dünen schlugen und dabei weglaufende Kinder erfassten.

Das hast du fotografiert?

Nein. Vor der Szene am Meer ging ich durch eine leere Shopping Mall. Sie war zum Teil offen und gebaut wie eine antike Pyramide. In die Läden wurden neue Waren geräumt, Kleider, Schmuck, frische Blumen. Der Blick durchs Panoramafenster ging auf eine hügelige Landschaft, ich wusste, dass ich in Portugal war, aber die weißen Häuser, die in der Ferne zu kleinen Ortschaften zusammenstanden, sahen eher aus wie orientalische Dörfer.

Die hast du… – ?

Auch nicht. Ich fotografierte Blumensträuße, die ich so noch nie gesehen hatte. Fotos, in der Hoffnung, zu Hause selbst ähnlich schöne Gestecke hinzubekommen…

Da muss das Aufwachen ja enttäuschend sein: so viele Fotos, und keins lässt sich retten!

In diesem Fall war das Aufwachen eher erleichternd: Die Katastrophe am Meer hatte nicht stattgefunden. Und die Fotos – oft weiß ich schon im Traum, dass sie nicht zu bergen sind: Dann klemmt der Film oder der Auslöser, und ich kann die Fotos, so schön sie mir vor Augen stehen, gar nicht erst machen.

Filed under: Allgemein

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

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