Die beiden Orte, an denen ich mich in meinem Leben zutiefst einsam gefühlt habe, sind Brühl und New York. Ja, westdeutsche Provinz und USamerikanische Ostküsten-Welt-Metropole. Haha.
Im kleinen rheinischen Brühl bin ich geboren, um schon im Kinderzimmer zu wissen, dass ich da nicht hingehöre. Warum kann ich bis heute nicht sagen. Mittlerweile fahre ich gerne dorthin, die Stadt ist im positiven Sinn mein zu Hause, es ist zwar nicht spektakulär dort, aber schon schön.
Nach New York kam ich erst spät. Ich war schon über 40 und nicht mal alleine unterwegs. Das ulkige Gefühl, alles mögliche dort schon zu kennen, gleichzeitig alles zum ersten Mal zu sehen, eine höllische Kälte Ende März, Liebeskummer und die Frage, die mich auf vielen Reisen plötzlich überfällt, „Was mache ich zum Teufel hier?“ (und nachts: „Was mache ich zum Teufel auf dieser Welt?“) verwandelten den Aufenthalt zu einer emotionalen Berg-und-Tal-Fahrt.
Tatsächlich waren beide Einsamkeiten sehr unterschiedlich. Die meiner Kindheit und Jugend war wie eine weite glatte Meeresoberfläche. Endlos. Erdrückend. Das Gefühl, am falschen Ort gefangen zu sein. Wie Robinson. Angefühlt hat sie sich wie eine schwere Narkose. Ich war müde, lethargisch, halbtot.
Die New Yorker Einsamkeit dagegen tat weh wie ein scharfer Schmerz. Der eiskalte Wind im Gesicht mag da eine Rolle gespielt haben. Aber auch der zweite New York-Aufenthalt im (meist) sonnigen Oktober hatte es in sich.
Natürlich habe ich mich geschämt. Wie kannst du hier sein und dich einsam fühlen? dachte ich. Und: Was mache ich falsch? Dabei sind mir beide New-York-Aufenthalte mit am stärksten von allen Reisen in Erinnerung geblieben. Vielleicht war es eine existentielle Einsamkeit, die mich dort befallen hat und die, anders als die Einsamkeit meiner frühen Tage kein Gefängnis war, weil der Abreisetermin schon fest stand und ich mich – deshalb wohl dieses Berg-und-Tal-Gefühl – immer wieder herauswinden konnte.
Durch Zufall bin ich letzte Woche auf ein Buch der britischen Journalistin und Schriftstellerin Olivia Laing gestoßen, das „The lonely City“ heißt, von New York handelt und der – so im Untertitel – „Kunst des Alleinseins. Olivia Laing hält Einsamkeit nicht nur für einen traurigen Zustand – und das kann ich bestätigen, auch wenn ich mich einsam oft als „falsch“ oder irgendwie nicht ganz normal wahrnehme – sondern für die Grundlage eines wachen, abenteuerlichen Lebens. Das finde ich interessant, denn es passt zu dem, was ich in letzter Zeit immer wieder bemerke, dass ich zwar unangenehme Zustände so schnell wie möglich wieder loswerden will, aber umgekehrt, beziehungsweise im Rückblick oft klar wird, wie hellsichtig und wach ich genau in diesen unangenehmen Zuständen war.
Was denke ich, wäre wenn Einsamkeit kein schätzenswerter Zustand, sondern eine große Kunst wäre? „Fascinating“ höre ich Mr. Spock sagen, der dabei lächeln würde, wenn er gelegentlich lächeln würde. Ich bin auf jeden fall mal auf das Buch gespannt, was gerade noch ungelesen neben mir auf dem Tisch liegt. Und in dem ich – eine ganz besondere Freude – mal wieder nach New York komme, wenn auch nur in Gedanken.
Mitzi Irsaj 20. März 2021
Sehr, sehr schön beschrieben.
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Stephanie Jaeckel 22. März 2021
Danke – und schön, dass Du vorbei schaust!
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juru77 20. März 2021
Na Brühl ist doch was. Das erste Mal passierte ich es bei einem Radrennen (Köln-Schuld-Köln) und als Fahrer kriegt man da nicht viel mit. Kurz darauf wohnte ich mehrmals aufgrund einiger Seminarteilnahmen der Deutschen Renault im nahegelegenen Weilerswist – und kannte dann „aus privaten Gründen“ jeden Stein auf der BAB Ffm. – Köln.. Bis dann die realistische Einsamkeit kam. Ging aber auch vorbei😀
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Stephanie Jaeckel 22. März 2021
😉 Ja! Brühl ist sofort klasse, wenn Du zu Besuch bist. Solltest Du im Sommer noch mal vorbei kommen: unbedingt mal ein Eis bei Cercena essen, das ist der älteste italienische Eisladen der Stadt. Und auch wenn wir mittlerweile alle diese amerikanisch-plüschigen Eissorten lieben: auf dem Brühler Markt gibt es das italienische Original (der Laden ist übrigens immer noch in Familienhand, das Eis weiterhin „echt“).
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juru77 22. März 2021
Geht wirklich nichts über orig. Gelati! Das Softzeug mochte ich schon als Kind nicht. Nach Brühl kam ich nie mehr, meine Renault Zeit beendete ich zugunsten einer anderen Marke, angenehme Erinnerungen blieben.
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kormoranflug 20. März 2021
Eine tolle Beschreibung von NewYork. Diese grossen Städte fernab anderer Freunde haben ihren Reiz aber auch eine grosse Anonymität. Fuss zu fassen ist nicht einfach. Auch in Berlin war mein Start von München kommend nicht ganz einfach.
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Stephanie Jaeckel 22. März 2021
Oh weh, erinnere mich nicht an meinen Start in Berlin (von Köln kommend). Da gab es noch diese eisigen ewigen Winter und kaum ein Café oder Restaurant hatte einen Stuhl vor der Tür, geschweige denn einen Tisch oder zwei. Also, ja, das stimmt. Hier habe ich mich auch fremd gefühlt, wenn zum Glück auch nicht ganz so schlimm, weil ich mich bei der Arbeit schnell einfinden konnte und in einem Student/innen-Wohnheim auch bald Kontakte hatte.
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finbarsgift 20. März 2021
Inmitten dieser Menschenmassen in NYC sich einsam zu fühlen sehe ich als große Kunst an … schön beschrieben, schön geschrieben…
HG vom Lu
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Stephanie Jaeckel 22. März 2021
Ja und – … – wie Du auf dem Foto siehst: auch in New York sind die Menschenmassen schnell futsch, wenn man mal um den Block geht. Die Fremdheit entsteht vielleicht auch durch die Schnelligkeit der Stadt, wobei ich beim letzten Mal (2019) gemerkt habe, dass es mehr so kleine Pausen-Inseln gibt, wo man sich mit seinem Kaffee hinsetzen kann. Und wo, wenn es warm genug ist, auch Leute sitzen (wenn gelegentlich sogar ohne Kaffee…). Das ändert tatsächlich gleich mal die Stimmung.
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finbarsgift 22. März 2021
Mit Sicherheit ist das so. Vieles liegt ja auch an einem selbst.
Ich war im 20. Jahrhundert das letzte Mal dort … it seems so long ago …
vermutlich hat sich trotzdem nur wenig geändert inzwischen.
HG, Lu
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