Zum dritten Mal in diesem Jahr verbringe ich ein paar Wochen mit den Schriften Friedrich Hölderlins. Auch, wenn es vor der Hand um Berufliches geht, staune ich, wie tief mich diese Beschäftigung berührt. Ich frage mich, ob es ganz allgemein klug wäre, gelegentlich ein oder zwei Wochen mit einem Menschen aus der Vergangenheit zu verbringen. Weil, wie mir scheint, viel Grundsätzliches daraus zu verstehen ist. Denn wo Hölderlin Fragen stellt, habe ich auch heute nicht unbedingt Antworten. Oder wo er sich begeistert, kann ich diese Begeisterung durchaus teilen. Die Gegenwart ist also gar nicht so exklusiv, wie es vielleicht manchmal scheint. Und wir können nur aus der Geschichte lernen, wenn wir uns gelegentlich in sie vertiefen. Rätselhaft bleibt die Krankheit, oder der „Wahnsinn“, den man damals bei ihm diagnostizierte. Er selbst sprach davon, zu weit gegangen, zu viel (Göttliches) gesehen zu haben. Er wäre dann, wie Ikarus, zu hoch hinaus geflogen, an der Sonne verbrannt und abgestürzt. Was er selbst nicht geschrieben hat, welches Glück er am Ende hatte, auf Ernst Zimmer zu treffen, einen erstaunlich belesenen Handwerker, der ihn aufnahm, und ihm nicht nur das schönste Turmzimmer überließ, sondern ihn auch in die Familie integrierte. Hölderlin war immerhin vermögend genug, um es ihm ordentlich zu entlohnen. Aber er schrieb ihm auch einen schönen Vers auf ein Brettchen, als er ihn eines Tages in seiner Werkstatt besuchte:
Die Linien des Lebens sind verschieden
Wie Wege sind, und der Berge Grenzen.
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.