Gnadenbrot oder Qual

Am Zoo scheiden sich viele Geister. Meistens meide ich Tiergärten. Nicht, dass mich Tiere nicht interessieren. Aber sie wie im Schaufenster zu betrachten, ist nicht so meins. Obwohl ich mich begeistern kann, gerate ich – meist zufällig – dorthin.

Natürlich kenne ich die Argumente. Anfangs waren Zoos mehr noch Forschungseinrichtungen denn Freizeitparks (oder zumindest beides gleichermaßen). Und auch heute wird dort vieles erkannt, was in freier Wildbahn verborgen bleibt. Wobei ich die Frage, warum wir Wissen über alles und jedes so selbstverständlich als unser Recht erachten, nicht beantworten kann. Denn zum Nutzen von wem setzen wir dieses Wissen ein? Und warum wollen wir unbedingt mehr wissen als andere Kreaturen?

Klar, ein alter Löwe wie dieser, den ich im Zoo von Aschersleben fotografiert habe, wäre in „freier Wildbahn“ – wie es so schön heißt (als könnten Wildtiere überhaupt noch irgendwo frei ihre Bahnen ziehen), längst tot. Hier kann er in der deutschen Sonne dösen, bis der Winter ihn in seinen Käfig mit Fußbodenheizung treibt, und nein, wahrscheinlich unterscheidet sich sein Gemütszustand nicht wesentlich von dem eines alten Löwen in Afrika.

Der Unterschied: Ich durfte den Löwen sehen. Und ich muss sagen, ich war von seiner Schönheit überwältigt. Aber ist das ein Argument? Dass ich in meiner Heimat Tiere sehe, die ich in ihrem eigenen Lebensraum niemals vor die eigenen Augen bekäme? Neben dem, dass wir die Kinder und Kindeskinder dieses Löwen einst vielleicht retten, weil wir ihre natürlichen Ambiente nachbauen können, nachdem wir die Originale zerstört haben?

Aus Wissen erwächst Verantwortung. Mir scheint, wir wissen längst mehr, als wir stemmen können. Was machen wir damit? Weiß jemand eine Antwort?

Filed under: Allgemein

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 2

  1. muetzenfalterin 8. August 2020

    Du implizierst es ja in dem was du geschrieben hast, wir müssen Verantwortung übernehmen, und das Wissen verantwortungsvoll anwenden, uns konstruktiv streiten und auseinandersetzen. Für lebenswerte Utopien streiten, in denen Gleichberechtigung herrscht, nicht nur unter Menschen, sondern auch zwischen Mensch und Tier, Umwelt und Natur. Wie man da anfängt, wie man das wirklich gesellschaftspolitisch bzw. global umsetzen kann, dazu habe ich nur Träume, leider keine handfesten Handlungsanweisungen.

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