Es gibt die Regel, einen Ort so zu verlassen, wie man ihn vorgefunden hat. Nicht, dass sich alle daran halten. Aber die Idee ist nachvollziehbar.
Ich lese gerade das schmale Bändchen, in dem das Vermächtnis des mit 104 Jahren gestorbenen brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer zusammengefasst ist. Als Architekt hatte er die Vision, die Welt zu verändern. Und zwar unbedingt zum Besseren hin. Was für ihn hieß, zu mehr Balance zwischen armen und reichen Menschen. Er war Kommunist. Für ihn stand der Kapitalismus ganz oben auf der Agenda von Dingen, die schlecht für die Welt sind.
Geld ist kein Maßstab. Das war seine Maxime (natürlich wusste er zu gut, dass Geld auf dieser Welt für vieles dringend nötig ist – Niemeyer war nicht naiv). Und da war er ein sehr unkonventioneller Kommunist. Denn er mochte Unterschiede. Die Idee, dass alle das Gleiche haben sollten, erschütterte seinen Schönheitssinn. Abwechslung ist notwendig. Schönheit ist kein Massenartikel (wobei wir wieder beim Kapitalismus wären).
Ich bin Kunsthistorikerin. Schönheit ist eine Qualität, deren Veränderung ich durch die Jahrhunderte beobachte. Liebe und Schönheit gehen stets Hand in Hand. Auch Hoffnung und Schönheit. Kunst wird immer wieder (auch Corona macht da keine Ausnahme) als „nicht systemrelevant“ eingeschätzt. Daran mag einiges sein. Denn Schönheit ist viel mehr, die Menschen – so auch Niemeyer – brauchen sie. Wie ist es, sich dem bewusst zu werden? Und wie ein Umwelt-Bewusstsein auch ein Schönheits-Bewusstsein zu entwickeln?
Myriade 21. Juli 2020
Niemeyer muss ein sehr interessanter Mensch gewesen sein, wenn ich auch sein Weltbild nicht so ganz kohärent finde.
Schönheit ist ja auch eine extrem variable Größe. Was in einem Jahrhundert als schön gilt, kann 200 Jahre später als hässlich gelten. Und auch zwischen verschiedenen Kulturkreisen sind die Unterschiede groß. Wobei auch die Frage ist, ob Kunst schön sein muss. Da gibt es ja viele Gegenbeispiele. Genauso wie für die These, dass Schönheit und Liebe und Schönheit und Hoffnung Hand in Hand gehen.
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Stephanie Jaeckel 21. Juli 2020
Keine Frage: Schönheit ist immer subjektiv. Und auch nicht jedes Kunstwerk muss oder soll schön sein. Aber Schönheit öffnet das Herz. Und wir erkennen sie, auch wenn es nicht unser Geschmack ist. Die Wandelbarkeit von Schönheit ist ja ihr größtes Geschenk. Sonst gäbe es heute keine Künstler/innen mehr. Alles wäre gesagt. Schönheit, Liebe und Hoffnung gehören zusammen. Es gibt vermutlich keine Liebe ohne eine Schönheit im Anderen zu sehen und keine Hoffnung, wenn nur das Hässliche übrig bleibt. Ich kenne bislang zumindest keine Gegenbeispiele. Und das wiederum gibt mir Hoffnung.
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Myriade 21. Juli 2020
Ich hatte gemeint, dass es Kunstwerke gibt, die weder mit Liebe noch mit Hoffnung zu tun haben und nicht schön oder harmonisch sondern eher verstörend sind und doch ohne Zweifel Kunst. Dass andererseits Liebe und Hoffnung zur Wahrnehmung von Schönheit führen, sehe ich auch so.
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Stephanie Jaeckel 21. Juli 2020
In der alten Kunst galt die Gleichung Schönheit = Wahrheit. Die Moderne hat diese Gleichung aufgelöst. Vielleicht aber eher in die Richtung von Schönheit und Realität.
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notiznagel 21. Juli 2020
Liegt Kunst nicht vor allem im Auge und Sinne des Betrachters oder Zuhörers?
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Stephanie Jaeckel 21. Juli 2020
Jain – wo bliebe denn da die Künstlerin oder der Künstler? Eventuell die Auftraggeber, der Zeitgeist und was noch alles… – Kunst ist offen für jeden Blick – und jede und jeder soll sich seinen Reim auf ein Werk machen. Aber es gibt natürlich, sagen wir, Gegebenheiten. – Aber eigentlich geht es mir gerade gar nicht so sehr um Kunst, sondern um Schönheit. Eine appetitlich hergerichtete Obstschale ist schön, aber vor allem keine Kunst…
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