Kann man Geschmack lernen?

Totschlagargument bei einem Gespräch über Kunst oder Design, oder vielleicht auch nur Kapitulation ist am Ende immer der Satz: „Es gefällt mir halt (nicht)“. Denn wir haben gelernt, Geschmäcker sind verschieden, und über sie streitet man nicht.

Soweit, so jajaja. Aber es fällt schon auf, dass es nirgends in unserer Gesellschaft Bemühungen gibt, Geschmack (und am besten gleich guten) zu vermitteln. Gleichzeitig wissen wir, dass Dinge durchaus Macht über uns haben. Eine häßlich Umgebung kann einem den Tag vermasseln, eine schöne kann uns glücklich machen. Eine Erfahrung, die wir spätestens aus einem Urlaub mit nach Hause bringen.

Wie gestalte ich meine Lebensumgebung?, ist auch die Frage: Worin besteht die Qualität menschlichen Lebens? So zumindest Kai Buchholz, Professor für Geschichte und Theorie der Gestaltung in Darmstadt, mit dem ich am Montag ein Interview geführt habe. Und es stimmt ja: wir lassen die Geschmacksbildung außen vor. Weil wir so tun, als sei sie Ausdruck einer „authentischen“ Persönlichkeit, nicht aber etwas, was lernbar ist.

Wie von einem Professor für Design zu erwarten, schlägt er auf meine Frage, wie das gehen könnte eine Art Grundkurs in Designfragen vor: Farbfächer überhaupt erst mal kennenlernen. Per Experiment herausfinden, wie Farben miteinander reagieren, oder Raum sehen lernen, Proportionen, Volumen. Zum Beispiel. Das machen einige vielleicht im Kunstunterricht. Mal. Aber das sind Aufgaben, für die man lange braucht. Weil das Verständnis erst langsam wächst. Das wären also nicht Info-Lernstoffe, sondern Aufgaben für Monate.

Es geht ferner auch um eine genaue Wahrnehmung der realen Umgebung. Eine Wachheit für das, was da ist. Eine Neugier dafür. Denn das „Reale“ bleibt das unmittelbare Gegenstück zu unserem Körper. Wir schaffen uns zwar eine zweite, virtuelle Ebene. Aber sie kann – auch wenn sie an ihren Oberflächen perfekt gestaltet ist – nie die Präsenz der Dinge erreichen.

Vielleicht ist gerade hier auch ein Manko unseres Schulsystems zu finden: Dass wir immer wieder zu sehr auf Kopfarbeit setzen. Wobei ich nicht behaupten will, Design entstehe ohne Kopf. Aber es braucht, anders als Wissen, auch die übrigen Sinne.

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 8

      • kormoranflug 27. Dezember 2019

        Meine leicht provokative Aussage „Geschmack ist für Kunst/Design nicht definiert“ leitet sich aus der Abkehr von landläufiger Meinung des „vergleichenden Geschmacks“ der Gesellschaft ab.

        Die Kunst, das Design, die Mode, die Architektur werden mit bestimmten Grundsätzen der Geometrie, Proportion, der Farbenlehre, der Wahrnehmung, der Geschichte und der Materialien erarbeitet.

        Sich in bestimmten Grund-Mustern der Farbenlehre zu bewegen, kann allgemein verständlich sein – Kunst wird daraus noch nicht.
        Zum Beispiel:
        Der Haifisch eines Damien Hirst im Glaskasten könnte in der Gesellschaft als“ schlechter Geschmack“ angesehen werden, trotzdem ist es in der Kunst zur Entstehungszeit 1991 ein grossartiger künstlerischer Schritt gewesen.
        Viele Entwerfer/Gestalter umringen ihre Kunstwerke mit einer Geschichte, ohne diesen Hintergrund kann das Kunstwerk nicht bestehen oder erkannt werden.
        Architekten wie Brandlhuber schlagen/formen in Wände Löcher ähnlich einem Kriegsschaden, verglasen diese „Fenster“ und nennen das Bauwerk „antivilla“. Darin gibt es interessante Räume und Ausblicke.

        Soweit mein kleiner Exkurs zu Deinem Thema.-
        Grüsse zur Verlängerung der Tageszeit, tom

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        • Stephanie Jaeckel 27. Dezember 2019

          Ich verstehe Dich immer noch nicht ganz, zum Beispiel, was meinst Du mit der „landläufigen Meinung des >vergleichenden Geschmacks<"? Geschmack ist nach meiner Vorstellung ein ästhetisches Urteil, das man durchaus erlernen kann. Dazu kommen dann persönliche Vorlieben, die den jeweiligen Geschmack ausprägen – eigentlich ja wünschenswert, mit einem Einheitsgeschmack würde es schlicht zum Heulen langweilig. Andererseits ist Geschmack kein Kriterium, mit dem Kunst beurteilt werden kann. Guter Geschmack kann helfen, Kunstwerke zu würdigen, weil einem guten Geschmack stets eine gute Unterscheidungskraft, Wissen und ein gutes Auge zu Grunde liegen. Aber Kunst definiert sich nach anderen – kunsteigenen – Kriterien. Das ist wie beim Essen: wenn ich keinen Fisch mag, kann ich kein Fischgericht der Welt würdigen – oder überhaupt verstehen. Was mir bei der Ausbildung eines ästhetischen Urteils so wichtig erscheint, oder was mir wichtiger wird, je länger ich darüber nachdenke, ist der Aspekt der Nachhaltigkeit. Denn wer Sachen kauft, die ihm oder ihr wirklich gut gefallen, wird sie länger (im besten Fall immer) benutzen. Oder auch: wer dafür sorgt, dass die eigene Umgebung gut und schön gestaltet ist, wird sich wohler fühlen. Das scheint mir in Zeiten des Massenkonsums wirklich wichtig. Und also für jede/n einzelne/n bedenkenswert.

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