Schönheit

Sie ist ohne erkennbaren Sinn in der Welt verteilt, sie ist subjektiv und manchen scheint es, sie sei nur Lug und Trug und verzichtbar. Generationen von Kunsthistoriker/innen haben sich schon die Zähne an ihr ausgebissen, sie ist manchen verdächtig und gilt doch seit der Antike für ein Zeichen des Guten und Wahren.

Schönheit gibt uns Gänsehautmomente. Wir suchen die Schönheit und ja, sie ist es auch, die uns aus dem Alltagstrott heraushebt (klar, auch die kleinen Schönheiten am Wegesrand). Schönheit ist Glanz und etwas, was die Zeit stehen lässt, wenn man sie sieht oder hört. Sie ist uns Menschen etwas Besonderes. Auch – oder sogar gerade – in den Naturwissenschaften. Alexander von Humboldt zum Beispiel verwendete unendlich viel Mühe darauf, die von ihm beschriebene Natur, das war in seinem Fall gleich der gesamte Kosmos, als schön (im Sinn von erhaben und groß) zu beschreiben. Auch Mathematiker sprechen gerne von der Schönheit ihrer Formeln, respektive von ihrer „Eleganz“. Der Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg geht soweit wie die antiken Autoren, dem Schönheitssinn wissenschaftliche Erkenntnis zuzuschreiben, erstaunt über:

»die ziemlich sonderbare Tatsache, dass etwas so Persönliches und Subjektives wie unser Schönheitssinn uns nicht nur dabei hilft, physikalische Theorien zu erfinden, sondern auch deren Gültigkeit zu beurteilen«

 

Stimmt das? Viele halten Schönheit für überbewertet. Sie ist flatterhaft wie das Glück, was heute schön ist, kann morgen nicht mehr dafür gelten oder bereits verwelkt und verwittert sein. Schönheit und Zeit sind in dieser Hinsicht ärgste Konkurrenten. Als Kunsthistorikerin bin ich besonders empfindlich. Wer Schönheit nicht liebt, ist mir suspekt. Natürlich halte ich mich zurück, ich weiß, dass es viele Schönheiten gibt, und ein Mangel an Interesse noch kein Zeichen für einen miesen Charakter oder schlimmeres ist. Gleichzeitig weiß ich auch, dass es genau dieser Sinn für Schönheit war, der mich aus meiner Familie hat ausbrechen lassen. Einer Familie, die nicht viel hatte. Schönheit schien nicht so wichtig. Geld war das Zauberwort.

Gerade ist ein Buch von Olaf L. Müller im Fischer Verlag erschienen: Zu schön, um falsch zu sein – Über die Ästhetik in der Naturwissenschaft. Das Zitat von Steven Weinberg habe ich daraus entnommen. Ich habe das Buch nicht gelesen (nur reingeschaut), bin aber riesig gespannt und möchte es denjenigen vorschlagen, die Zeit und Lust haben, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Schönheit, jedenfalls ist das meine Erkenntnis, ist nicht verhandelbar. Sie ist notwendig für jedes Leben. Und deshalb ist es falsch, sie mit Geld aufzuwiegen und in klammen Zeiten für überflüssig zu deklarieren. Wehe dem oder derjenigen, die keine Schönheit kennen. Denn Respekt und Demut werden genau an der Stelle brüchig.

Das Foto mit der unscharfen Schönheit habe ich im Atelier von Yuken Teruya aufgenommen, einem japanischen Künstler, den ich demnächst in den Klunkern vorstellen möchte.

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 13

  1. Ruhrköpfe 27. Juni 2019

    Gedanken, die mir dabei in den Sinn kommen: Wer oder was ist schön? Das aktuell allgemein gültige Bild der Menschen auf Instagram und Co? Für mich reicht das nicht. Zu glatt, zu unecht. Zu anbiedernd, unbedingt gefallen zu wollen. Schön oder auch attraktiv ist, wer sich traut, sie selbst/er selbst zu sein… ich denke noch weiter drüber nach .-)

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  2. wechselweib 28. Juni 2019

    Danke für den Buchtipp und deine sehr nachdenkenswerten Gedanken. Ich persönlich glaube an die Macht und den Wert von Schönheit.
    Zeigt sich zum Beispiel auch in Gesetzes- oder Verfassungstexten. Ein Text, der einfach und kraftvoll formuliert, aber elegant formuliert ist, hat mehr Kraft als ein Text mit tausend Ergänzungen . Bestes Negativbeispiel: die Verstümmelung des Asylrechtsartikels . Bestes Positivbeispiel Artikel 1 (1) GG: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Punkt.

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  3. The Girl in the Red Pants 6. September 2019

    Mich bringen Wissenschaften immer wieder zum Verblüffen und zum Lachen. Inzwischen zeichne ich meine eigene kleine Comicserie mit alltäglichen Situationen bei den man an Mathematik, Chemie, Physik oder Biologie anwendet, verknüpft mit einer guten Wortwahl kann man vielleicht schon über die schlechten Witze lachen. Denn das sind die kleinen Wunder in unserem Leben, welche die Schönheit dieser Welt widerspiegeln.
    thegirlintheredpants.wordpress.com

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