Vertrauen

Der gestern in Dortmund zu Ende gegangene evangelische Kirchentag stand unter genau diesem Motto. Eine gute Wahl, denn Vertrauen ist eine uralte Kulturtechnik, die in eine schwere Krise geraten ist. Und die weiter reicht, als im Zwischenmenschlichen.

Warum Vertrauen verloren gegangen ist, kann ich nicht beantworten. Ich höre immer wieder eine These, nach der zu viel Wohlstand Vertrauen – vermeintlich – überflüssig macht. Mit genug Geld auf der Bank brauche ich niemanden mehr, um mir etwas zu besorgen, seien es Geräte jeglicher Art, Wohn- oder Arbeitsräume, Autos (ein neuerlich wieder diskutiertes Thema), Handwerker/innen, Expert/innen für alles mögliche u.s.f. Umgekehrt: mit weniger Geld muss ich teilen. Das Büro zum Beispiel. Seit ich berufstätig bin, arbeite ich in Großraumbüros. Mit zunächst wildfremden Leuten, denen ich meinen Besitz mit anvertraue, immerhin bekommt jede/ einen Schlüssel. In mittlerweile zwanzig Jahren gab es nur einen Vertrauensbruch: Ein Beamer kam unter rätselhaften Umständen abhanden (kein Einbruch) – und ich wurde ausdrücklich verdächtigt, weil ich diejenige im Büro war, die besonders wenig verdiente.

Wir alle haben wahrscheinlich einen Wohnungsschlüssel bei guten Nachbar/innen deponiert und wissen, wie hilfreich das sein kann. Aber dann: Wem vertrauen wir eigentlich? Das ist eine Frage, die sich zu stellen lohnt. Weil sie vermutlich den Grad der eigenen Verflechtung in der Welt beantwortet. Keinem? Freund/innen? Fremden? Nicht mal mir selbst? Wenn wir im Kleinen Prinzen die Geschichte des Prinzen und des kleinen Fuchses lesen, lesen wir eine Geschichte der Freundschaft. Und wenn wir selbst den neuen Hund einer Freundin kennenlernen, erleben wir dieselbe Anbahnung einer Freundschaft zwischen Mensch und Tier. Damit ist klar, dass Vertrauen über die Grenze menschlicher Erfahrung reicht. Der Glaube an Gott ist übrigens nichts anderes als Vertrauen. Wie oft setze ich auf Vertrauen? Oder: Bin ich selbst ein vertrauenswürdiger Mensch? Das sind Fragen, die sich zu stellen lohnen. Denn wenn wir unseren Planeten retten wollen, oder auch nur ein gutes Leben leben wollen, werden wir es noch dringend brauchen, unser Vertrauen und das Vertrauen anderer in uns.

 

 

 

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 9

      • wechselweib 24. Juni 2019

        Bei der einen Art von Fällen war es das Vertrauen in die pädagogischen und menschlichen Fähigkeiten von Kollegen. Da bleibe ich jetzt vorsichtig und das können sie wiedergewinnen.
        Die andere Sorte von Vertrauensbruch ist die Folge von Verrat. Vertrauliches wurde an Dritte weitergegeben. Dieses Vertrauen wird nachhaltig gestört bleiben und hat zu Verhaltensänderungen bei mir geführt.
        Unprofessionalität, Mangel an Empathie und Menschlicheit sowie Verrat führen bei mir zu Vertrauensverlust.

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          • wechselweib 27. Juni 2019

            Verrat ist, wenn ich jemand was anvertraue und der es dann der Schulleitung erzählt, um mir zu schaden und selbst seine Karriere voranzutreiben. Das ist mir passiert.

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          • Stephanie Jaeckel 27. Juni 2019

            Was Du da schreibst, finde ich sehr interessant. Aus einem anderen Grund. Ich habe früher oft Dinge von mir preisgegeben, als eine Art Vertrauensbeweis, und mir ist oft passiert, was Du schreibst. Heute denke ich, es war (bei mir!) eine Art von Unterwerfung: Ich sage Dir etwas, was Du gegen mich verwenden kannst. Das mache ich heute nicht mehr. Weil ich für mich erkannt habe, dass es ein ungutes Vertrauen ist, eins, das mit der Suche nach Loyalität zu tun hat. Die ich nicht ohne Grund einfordern sollte – Aber das ist natürlich von Fall zu Fall verschieden.

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          • wechselweib 28. Juni 2019

            Ich bin einfach zu emotional und unüberlegt oft. Aber ich werde mich in Zukunft besser schützen.

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