Sich selbst abhanden kommen

Sich selbst fremd sein, gehört zu den beunruhigenden Gefühlen. Gewöhnlich fühlt man sich zu Hause in seiner Haut. Selbst wenn man Schmerzen hat, weiß man, wer man ist, auch wenn man sich in einem solchen Moment gerne weit weg wünscht.

Ich habe seit ein paar Wochen etwas, was ich als „kaltes Herz“ empfinde, und was sich fremd anfühlt. So kenne ich mich nicht. Meist bin ich für etwas begeistert, probier neues aus oder habe Einfälle. Aber mit einem Mal war die Begeisterung futsch. Nanu!?

Das ist unangenehm. Weil ich nicht weiß, wo mein begeistertes Ich hin ist. Ob es sich irgendwo ein Plätzchen zum Ausruhen gesucht hat oder ob es überhaupt Lust hat, wiederzukommen. Vielleicht hat es sich sogar verirrt? Es fühlte sich so an, als hätte sich meine beste Freundin über Nacht vom Acker gemacht. Und ich habe keinen Schimmer, was passiert ist. Keine Katastrophen, keine Kräche, kein – gar nichts.

Zum Glück bin ich nicht in Panik geraten. „Business as usual“ war angesagt. Fake it, bis es wiederkommt – oder so. Heute war ich in der Therme und habe beim Dümpeln im Wasser plötzlich mein kaltes Herz vor Augen gehabt. Ich konnte „sehen“, dass es müde und erschöpft ist. Schnell und gerne begeistert sein, ist wahrscheinlich auch ein ziemlich heftiger Output. Alles gut, schien mein Herz mir zu sagen und so etwas wie: ich bin noch da. Und dann wurde mir mit einem Mal klar, warum es so wichtig ist, sich selbst gelegentlich etwas Gutes zu tun. Und was es bei mir heißt: Erstens: Wasser, Wasser, Wasser. Und zweitens: mir immer wieder die Freiheit zu nehmen, Dinge zu machen, die nur ich mir zutraue.

 

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 9

  1. wechselweib 17. Mai 2019

    Meine pubertierende Tochter beschreibt ihr Lebensgefühl auch gerade als „sich selbst fremd sein“… ICIch kenne das auch. Ist meist Zeichen, dass sich ein Umbruch ankündigt oder stattgefunden hat.

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  2. hummelweb 17. Mai 2019

    Wie schön, das die Körperkommunikation so gut funktioniert hat. Unser Körper ist so weise und sendet uns Signale aller Art, wir müssen ihm nur zuhören und nicht jedes Gefühl direkt in eine Schublade stopfen, Etikett drauf, das ist das, so und weg. Wenn wir zuhören, wie du deinem kalten Herzen, indem du dir einfach etwas Zeit für dich genommen hast, bekommen wir oft unerwartete Antworten. Was du beschreibst, ist das, was bei der Cranio auch manchmal passiert, und ich finde es immer wieder faszinierend.
    Manchmal brauch ich auch so eine Erinnerung, mir etwas Gutes zu tun, mir Zeit zu nehmen, ganz besonders in Momenten, wo ich mich nicht wohl in mir fühle, mir fremd bin, mich nicht erkenne.
    Und du machst Dinge, die nur du dir zutraust? Was das wohl sein mag…? Mir würde grad gar nichts einfallen, von dem ich glaube, dass ich s mir zutraue, andere aber nicht.
    Jedenfalls hatte ich dank deines Beitrags eine nachdenklich-ruhige Mittagspause, danke!
    Lieber Gruß
    Andrea

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    • Stephanie Jaeckel 22. Mai 2019

      Ich bin ziemlich genau vor einem Jahr das erste Mal seit bestimmt 25 Jahren (vielleicht auch 30) wieder schwimmen gegangen. Und erst im Wasser hatte ich wieder den Körperkontakt zu mir, der mich auf einen Schlag zu mir bringt. Ich tanze sehr gerne. Aber im Wasser fühle ich mich richtig zu Hause. Seitdem ist es relativ einfach geworden, mir etwas Gutes zu tun. Das Zauberwort heißt Wasser (wahlweise: Schwimmbad). – Was die Dinge angeht, die nur ich mir zutraue? Das hat mit Sachen zu tun, von denen andere gar nicht so genau wissen, dass ich sie gerne mache. Schon über mein Faible fürs Schwimmbad waren viele überrascht. Die meisten hielten mich für wasserscheu. Dass ich im Oktober eine Coast-to-Coast-Tour in Amerika mache, hat auch viele verwundert. Seit ich den Führerschein mit 18 gemacht habe, bin ich quasi nie Auto gefahren. Als zwei ganz simple Beispiele. Andrea ist übrigens ein schöner Name. Hummel aber auch 😉

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      • hummelweb 22. Mai 2019

        Danke für deine spannende Erläuterung! Ja, so verstehe ich dann auch, was du meinst. Vielleicht sollte ich mal überlegen, ob es bei mir nicht auch so etwas gibt. Es hört sich jedenfalls irgendwie verlockend an…
        Ich lebe übrigens schon seit über 40 Jahren mit beiden Namen, weil ich als Kind unbedingt einen Spitznamen haben wollte, nachdem ich die „Hummelchen“-Bücher gelesen hatte (die heute keiner mehr kennt, war so was wie Hanni und Nanni). Seitdem sagte erst meine Mutter „Hämmerchen“ zu mir, später meine Freundinnen und als ich meine Ausbildung anfing auch meine Kolleginnen. Selbst mein Chef sagte manchmal „Frau Hummel“.
        Inzwischen stelle ich mich aber meist mit Andrea vor; da dieser Blog aber aus einer Krankheit heraus für meine Freundinnen entstand, war ich eben Hummel.

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        • Stephanie Jaeckel 25. Mai 2019

          Das ist ja süß, mit den Hummelchen-Büchern. Ich war als Kind eher ärgerlich, was Spitznamen anging, es gibt auch heute nur zwei ewige Freundinnen, die mich Steffi nennen dürfen. Ich denke, ich hatte ein großes Bedürfnis, erwachsen zu sein. Im Nachhinein ist es aber auch irgendwie schade. Frau Hummel jedenfalls finde ich klasse!

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  3. Anhora 17. Mai 2019

    Ich habe das auch manchmal, und schlittere dann meist knapp an einer Depression vorbei. Man empfindet auf einmal anders und kennt sich selbst nicht mehr. Tut dir Gutes, das hilft am besten, wie du ja schon festgestellt hast. Ich mache viel Sport und Gartenarbeit. Das hilft auch.
    Ich wünsch dir alles Gute. 🙂

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    • Stephanie Jaeckel 18. Mai 2019

      Es ist tatsächlich oft ein Moment des Wandels. So, wie sonst immer, geht es nicht mehr weiter: Ein neuer Schritt muss her. Zielstrebigkeit und Umherirren sind möglicherweise gleich wichtig in einem guten Leben. Wobei wir gerne diesen passiven, unübersichtlichen Teil missverstehen und zu vermeiden suchen. Na, für mich hat nach einer ewigen Erkältung wieder die Schwimm-Saison begonnen und gärtnern, wenn auch nur in großen Blumentöpfen, ist seit je meine liebste Sommerbeschäftigung…

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