Mein Alltag im Mai

Und einmal mehr einen Wink rüber zu Ulli, die mir und anderen Blogger/innen das Thema Alltag vor mittlerweile schon 7 Monaten ausdrücklich ans Herz gelegt hat: https://cafeweltenall.wordpress.com/2019/05/03/alltag-7/

Mein Alltag findet hauptsächlich am Schreibtisch statt. Ich bin freie Texterin und Autorin und mein „tägliches Brot“ ist seit Jahren das Schreiben von Audioguides. Mir ist das so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich mittlerweile schon in kurzen zwei-Minuten-Texten denke, und gar nicht erst Zeichen oder Wörter zählen muss, um zu wissen, ob ich einen 60-, einen 90- oder 120-Sekunden Track geschrieben habe.

Immer dasselbe. Seit mittlerweile fast 20 Jahren! Dabei ändert sich natürlich jedes Mal der Inhalt. Die Form habe ich regelrecht in den Fingern (oder wo auch immer – was übrigens fürs Blogschreiben enorme Folgen hat. Die haben fast automatisch Audioguide-Format, und ich ertappe mich, dass ich längere Texte bei mir, aber auch bei anderen, manchmal richtig anstrengend finde: pfffff…)

Gerade bewege ich mich in einer Zeitspanne zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert: Gegenstand meines aktuellen Guides ist das Schloss vor Husum, dessen Grundstein 1577 in Sichtweite zum Meer gelegt wurde und dann – ob dieser Randständigkeit – ein wechselvolles Dasein fristete, oft kurz vor dem Abriss, später vor allen in der für ein Schloss sicher demütigenden Funktion eines Verwaltungsgebäudes.

Dieser Teil, also das Aneignen neuer Wissensgebiete macht die Arbeit spannend, aber oft auch stressig, denn natürlich muss alles in kürzester Zeit geschehen. Es braucht eine Menge Fantasie (und damit meine ich jetzt keineswegs Fake-News), um Wissen übers Ohr an die Besucher/innen zu bringen. Denn der grundsätzliche Punkt ist ja der: Wie erkläre ich einer Person, die – möglicherweise mit enorm vielen anderen Personen – in einem ihr fremden Raum vor einem ihr fremden Objekt steht, was es mit diesem Objekt auf sich hat, und wie es mit den übrigen in diesem Raum gezeigten Objekten in Beziehung steht.

Wer die Kopfhörer in einer Führung aufsetzt, begibt sich in eine virtuelle Welt. Es entsteht ein Raum im Raum, ein Leitfaden wird ausgelegt, der für die anderen Besucher/innen unsichtbar bleibt, und dem diese Menschen mit Kopfhörern folgen – wenn auch oft nach eigenem Gusto, d.h. in eigener Reihenfolge. Nein, ich will es nicht zu weit treiben, denn natürlich kann jede/r jederzeit die Kopfhörer abnehmen und etwas anderes machen oder denken. Dennoch muss ich mir überlegen – übrigens ohne vor Ort zu sein – wie dieses Aufeinandertreffen von Mensch und Objekt sich zuträgt, und was just in diesem Moment von größtem Interesse (zwei Minuten höchstens) sein kann. Oft übernehmen die Kurator/innen diesen Part, indem sie festlegen, welche Informationen sie an dieser Stelle vorgesehen haben. Das kann hilfreich sein, manchmal aber auch frustrierend, weil der Moment völlig ausser Acht gelassen wird und irrwitzige Hintergrundinformation vor das eigentlich Offensichtliche geschoben werden.

Als Journalistin finde ich es – weil ich schon bei „frustrierend“ bin – übrigens oft schwierig, nicht das schreiben zu können, was ich sehe oder denke. Das geht manchmal versehentlich schief, weil ich meist unabhängig recherchiere, um schnell an möglichst viel Material zu kommen, und dann schon mal die Forschung anderer Expert/innen auf dem Tisch habe oder Meinungen, die mir plausibel erscheinen, mit denen ich jedoch eine rote Linie der Auftraggeber/innen überschreite. Es kann auch sein, dass die Ausstellungsmacher/innen einer langweiligen, weil schon über Jahre breitgetretenen These anhängen, die ich nur mit Mühe halten kann, weil es längst spannendere Aspekte gibt. Aber klar, da muss ich zurück, ich schreibe schließlich keinen unabhängige Text.

Aber von der Wissensvermittlung einmal abgesehen, die natürlich die Kernaufgabe eines solchen Guides ist, denke ich oft über die Situation selbst nach: Also das Stehen im Raum mit einer fremden Stimme im Ohr. Wie ließe sich diese Situation nutzen? Denn in der akustischen Abkopplung von der Realität liegt meines Erachtens ein weites Spielfeld. Das auszuprobieren, wäre mir ein großes Vergnügen. Aber das ist im Alltag und unter fest vereinbarten Bedingungen nicht zu machen. Zum Glück gibt es auch Feiertage und Ferien: wer weiß, ob ich da nicht doch nochmal zum Zug komme…

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 11

  1. Ulli 4. Mai 2019

    Liebe Stephanie, da durfte ich dir ja heute auch einmal über die Schulter schauen! Leider ist dein Ping, wie andere auch, nicht bei mir angekommen, obwohl dein gesetzter Link funktioniert – wp nervt gerade!Aber egal jetzt, ich habe deinen Beitrag gefunden und werde jetzt wohl jedes Mal an dich denken, wenn ich mal solch einen Kopfhörer auf den Ohren habe und mit etwas erzählen lasse. Aber noch eins werde ich tun, danach noch einmal selbst recherchieren, ob es nicht auch noch andere Sichtweisen und neuere Erkenntnisse gibt. Man ist ja schnell genigt alles für bare Münze zu nehmen, wenn es nur überzeugend genug dargestellt wird. Bleibe ich also kritisch 🙂
    Meinen herzlichen Dank an dich und liebe Grüße
    Ulli

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    • Stephanie Jaeckel 4. Mai 2019

      Ja, Dein Beitrag hat mich angeregt und eine Ausstellung, die ich gestern besucht habe, wo man mit einem Audioguide in einen leeren Raum geschickt wurde, wo man dann etwas über die Zukunft, bzw. darüber, was junge Menschen sich darunter vorstellen, erzählt bekam. – Mein WP funktioniert nicht mehr richtig, seit ich ein Rechnerupdate gemacht habe. Keine Ahnung. Ich kann ja fast nirgendwo mehr Sternchen verteilen und auch sonst bin ich – selbst auf meiner Seite – extrem behindert. Wenn ich mal Zeit habe, will ich mich dem widmen, kann also noch dauern…

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  2. hummelweb 4. Mai 2019

    Sehr interessanter Einblick in eine Arbeit, über die ich mir noch niemals Gedanken gemacht habe. Ich habe auch nur einmal einen Audioguide benutzt, erinnere mich aber nicht mehr, bei welcher Ausstellung (Bilder jedenfalls), fand es aber nervig, da mich ganz andere Werke interessiert hätten und sich viele Besucher vor den gleichen Bildern drängelten. Seitdem scheue ich davor zurück. Wohingegen ich Führungen durch Ausstellungen meist ganz anregend finde. Vielleicht hatte ich da auch nur einen nicht so spannenden Audioguide erwischt, jedenfalls werde ich es mir fortan nochmal überlegen. Und, wie Ulli schon schrieb, auch alles kritisch hinterfragen.
    Spontan fing ich nach dem Lesen an, einen Audioguide zum Besuch unseres Hauses zu entwerfen: Was ist hieran besonders, worauf würde ich Besucher gerne hinweisen, was wäre mir wichtig, zu vermitteln?
    Ein spannendes Thema und ein schöner Einblick in deinen Alltag, vielen Dank dafür!
    Hummel

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    • Stephanie Jaeckel 4. Mai 2019

      Klar, kein Mensch macht sich Gedanken darüber, wie die Texte in die Audioguides kommen, viele sind ja tatsächlich unterirdisch schlecht, was meist mit einem enormen Termindruck zu tun hat. Trotzdem gelten die Dinger mittlerweile als Standard für Ausstellungen – komisch ist allerdings schon, dass die Inhalte so wenig kommentiert oder von den Besucher/innen in besserer Qualität eingefordert werden. – Eine tolle Idee übrigens, einen Audioguide für die eigene Wohnung zu schreiben! In seiner unterhaltenden Form haben solche Guides ja was von dem alten Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst…“ und damit eigentlich auch ein sehr vergnügliches Potential.

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        • Stephanie Jaeckel 5. Juni 2019

          Danke! Als Texterin hört man ja selten etwas von den „Nutzer/innen“. Ich mag sie auch, wenn es um Themen geht, die mir nicht so präsent sind. Allerdings nutze ich sie enorm selten. Am liebsten im Urlaub in den USA oder Kanada, da sind sie einfach mit viel mehr Liebe (und wahrscheinlich Zeit) gemacht. Richtig toll.

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