Als Kind habe ich meine Eltern oft auf die Palme gebracht, weil ich im Fernsehen nicht das Kinderprogramm schauen wollte, sondern nur die Werbeblocks vor den Abendnachrichten. Sie verdrehten die Augen und schimpften: „Wer braucht das schon? Wir haben alles!“, während ich in die weite Werbewelt schaute. Rückblickend staune ich, wie kleinkariert diese Welt der 1970er Jahre tatsächlich war: Mutti servierte der Familie das Frühstück, den Nachbarinnen einen Nachmittagskaffee (klar, Mittagessen fiel aus, Vati aß ja in der Firmenkantine), und abends ein schnell hingezaubertes Essen, alles gut gekleidet und mit perfekter Frisur. Vati rauchte Zigaretten, mit denen er sich meilenweit von seiner Schreibtischarbeit träumte, nutze ein herbes Aftershave und trank später noch einen Weinbrand, um die Sorgen des Tages mit den Annehmlichkeiten eines Clubabends in den eigenen vier Wänden zu vertauschen. Doch, es gab auch Ausnahmen: Clementine, zum Beispiel, eine burschikose Frau in weißer Latzhose , die nicht – oder nur als der Typ unvermittelbare Kumpel-Frau (oder doch Lesbe??? – d.h. Lesbe aus der damaligen Einschätzung von burschikosen Frauen in Latzhosen) – in die deutsche Nachkriegszeit passen wollte, und natürlich der Afri-Cola-Clip von Charles Wilp, den ich schon als Kind liebte – obwohl ich nichts von dem Witz und den vielen Anspielungen darin verstand.
Die Dinge haben sich geändert: Heute schalte ich alles aus, oder zumindest den Ton weg, wenn Werbung droht. Aber warum? Fast alle Werbefilme haben mittlerweile Hollywood-Qualität, die darin gezeigte Welt ist noch aufregender geworden, allein – wer braucht das schon? Bin ich erwachsen geworden und wehre mich wie meine Eltern gegen ein Zuviel von allem? Nein. Das ist es nicht. Auch nicht die lauten Stimmen und die viel zu laute Musik, die jede Werbung von anderen Sendungen im Radio, im Kino oder auf dem Bildschirm unterscheidet. Es ist die Biederkeit dieser Werbewelt, die so viel bunter geworden ist, aber nach wie vor im kleinsten Format von Vater-Mutter-Kind verbleibt. Geschenkt, es gibt jetzt auch die rebellischen Kids, die berufstätigen Frauen, die kochenden Männer, doch wer genau hinschaut: Mann und Frau sitzen im Auto. Wer fährt? Eine Frau kommt mit ihrer niedlichen Tochter in einem Geschäft und kauft etwas per Mobil-Telefon. Für wen? Der Feierabend mit Lagerfeuer und Bier am Strand: Nur was für Jungs. Paps hilft seiner erwachsenen Tochter per Skype ein verunglücktes Essen für ihr erstes Date zu retten. Natürlich behält er die Nerven, kann aber – ebenso natürlich – nur Spaghetti.
Studien belegen, dass die alten Rollenbilder nach wie vor am besten ziehen, auch wenn sich die Marketing-Abteilungen bemühen, die – wie sie es nennen – „Rollenvielfalt“ von Frauen auszuweiten. Umgekehrt kommen auch die Männer nicht vom Fleck: Sie müssen erfolgreich, sportlich und verführerisch sein oder zumindest Fußball gucken und Bier trinken. Warum das so ist, darüber scheiden sich die Geister. Für den deutschen Werberat ist Werbung ein Spiegel der Gesellschaft. Dabei ist es wohl eher umgekehrt: Werbung beeinflusst unsere Gesellschaft, sie setzt Trends und schafft Vorbilder. Doch in einer solchen Welt, in der ich nur erfolgreich sein kann, wenn ich Parfüm nutze, kalorienreduziert frühstücke und im rosa Stadtflitzer daher komme, möchte ich nicht leben. Und ehrlich: ich glaube auch nicht daran. Meine Berliner Wirklichkeit ist vielleicht weniger bunt, aber dafür aufregender. Ich muss nicht mal Afri-Cola trinken, um eine coole Party zu schmeißen.
wechselweib 3. April 2019
Seht wahre Beobachtungen! Danke!
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