Sehnsuchtsort Bahndamm

Das ist tatsächlich ein Relikt aus meiner Kindheit. Die Fremdheit und das Fernweh, das mich erwischt, wenn ich neben Eisenbahngleisen hergehe. Als Kind waren Gleise geheimnisvoll. Sie führten weg, waren gesäumt von merkwürdigen Zeichen und Lichtsignalen, doch natürlich trog die Stille, denn früher oder später kam ein Zug, ein leises Simmern im Eisen kündigte ihn an. Hieß es nicht auch „die Weichen stellen“, wenn es um etwas wichtiges im Leben von Erwachsenen ging? Und klar war, einmal gestellt, gab es kein Vertun. Der Zug jedenfalls würde keine eigene Entscheidung treffen können.

Ich war jedesmal ängstlich und aufgeregt, wenn ich – vor allem abends – die Gleise kreuzte, die nicht weit von unserem Haus links nach Köln und rechts nach Bonn führen. Auf den Gleisen war damals gefährlich (es gibt längst eine Unterführung) und ich hatte jedesmal das Gefühl, weggezogen zu werden, als sei hier ein unsichtbarer Sog, der mich von zu Hause entfernte, eines Tages entfernen würde, wovor ich, damals noch sehr klein, Angst hatte. An Bahndämmen wohnen manchmal Elfen, habe ich viel später in Berlin gelernt, an der Möckernbrücke soll es welche gegeben haben, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie geblieben sind – zu viele Neubauten machen zu viel Licht nach der Dämmerung. Neulich in Herford war ich auch am Bahndamm unterwegs, abends, die Stimmung war wieder so blau, so still und verheißungsvoll wie früher. Jetzt könnte etwas anderes passieren. Dachte ich als Kind. Und denke ich noch heute.

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

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