Ich lese gerade – quasi mal hier und mal da – Simone de Beauvoirs Buch über das Alter und eine Biografie über Marguerite Duras (von Jens Rosteck, im mare-verlag). Beide Frauen waren starke Liebhaberinnen, die eine mehr, die andere weniger monogam, beide extrem unkonventionell und klug genug, Schmerz oder Ablehnung nicht als eigenes Versagen zu interpretieren (obwohl beide, so ist zu vermuten, viel Schmerz haben hinnehmen müssen).
Die Lektüre Simone de Beauvoirs ist eine Wiederaufnahme nach mindestens zwanzig – wenn nicht mehr – Jahren. Ich hatte sie während meines Romanistik-Studiums kennengelernt, später noch ihre Autobiografie gelesen, ohne zu merken, wie exotisch für mich dieses Leben als „Tochter aus gutem Hause“ war. Heute begreife ich überhaupt erst, was ihre Leistung als Autorin war, wie belesen sie war und wie geschickt sie aktuelle Forschung und Literatur miteinander verwoben hat. Stets war die eigene Erfahrung Anlass für ihre Untersuchungen. Die eigene Kindheit, dann – und allem voran – das Leben als Frau in der französischen (und damit westeuropäischen) Gesellschaft, das Altern, das Dasein als Intellektuelle, die Erfahrungen des Krieges, usf.
Sie sucht nach Traditionen, nach großen Linien. Nach dem, was eine Gesellschaft ausmacht, und nach den sozialen Gegebenheiten, die uns zu denen machen, die wir sind. Manchmal entsteht eine gewisse Schieflage dadurch, dass sie literarische Zeugnisse verwendet, und zu ihrer Zeit diese Zeugnisse fast nur von Männern geschrieben, bzw. veröffentlicht sind.
Ihr Buch über „das Alter“ erschien 1970, da war sie 62. Einmal mehr hatte sie sich also ein Thema gesucht, das sie selbst anging. Und es ist für mich, die ich ebenfalls die Fünfzig schon überschritten habe, eine gute Lektüre, um zu ermessen, was da auf mich zukommt. Nein, mit Dreißig hätte mich das noch nicht interessiert. Oder eben nur, sagen wir, „theoretisch“. Wenn ich eins in meinem Leben begriffen habe, dann das: Zeit spielt eine Rolle. Dinge können nicht vor, aber auch nicht nach ihrer Zeit verstanden, gelebt oder vielleicht überhaupt wahrgenommen werden. Am Leben zu sein, bedeutet, dass wir in die/unsere Zeit gespannt sind.
Das Thema, das in fast allen ihren Schriften mitschwingt, ist das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander. Brennende, gefesselte, und natürlich auch entfesselte Herzen, große Erwartungen, noch größere Enttäuschungen, eine endlose Geschichte von Anziehung und Ablehnung, von Nähe und Distanz. Liebe, das wird klar, spielt darin nicht immer die erste Geige. Es ist ein sich Abarbeiten am anderen und an sich selbst. Der Mann oder die Frau sind immer wieder der Maßstab für die eigene Balance, die eigene Selbstvergewisserung. Das macht die Sache spannend, denn nie sind Männer und Frauen sich nur Liebhaber/innen, seien es potentielle oder abgelegte. Sie sind Projektionsflächen, und sich gegenseitig, wie ich erschreckt an mir selbst bemerke, das „fremde Wesen“ (naja, in so mancher, und keineswegs jeder Hinsicht). Insofern bleibt dieses Buch in seiner wirklich erschlagenden Offenheit und Subjektivität aktuell. Außerdem ist Simone de Beauvoir eine wundervolle Erzählerin. Hier kommt wahrscheinlich ihre Herkunft aus „gutem Hause“ zum Tragen, wo wenig so sehr verachtet wird, wie langweilig zu sein. Im Alter zeige sich erst die Wahrheit, so schreibt sie über Shakespeares „King Lear“. Eine steile These, die möglicherweise wahr ist. Ich zumindest bleibe fürs Erste mal dran…