Wenn ich in meine Schulzeit zurückschaue, sehe ich nur noch sehr vage Umrisse. Blasse Gesichter – häufig schon ohne Namen, kalt gewordene Gefühle (doch, manchmal noch sehr heißer Zorn), sehr viel Enge. Nach dem Abitur war mir alles grau. Der Start ins Leben hatte begonnen – so jedenfalls meine Eltern – und ich wusste nicht mal annähernd, wohin. Nizza, um weg zu kommen, Studium, um die Entfernung zur Familie endgültig groß genug zu machen. Das hieß ganz eindeutig „weg hier!“, aber wohin?
In mancher Hinsicht scheine ich einen inneren Kompass besessen zu haben. Wenn ich zu Hause bin und zufällig alte Aufzeichnungen lese, finde ich Hinweise auf frühe Sehnsüchte, an die ich mich heute nicht mehr erinnere. Und die ich damals ganz bestimmt nicht hätte laut aussprechen können (nicht aus Scham, sondern aus mangelnder Selbstkenntnis). Orte, die ich später aufsuchte, und deren Namen früh schon ins Tagebuch gemalt waren, Vorbilder, die ich bewunderte, Musiken, die ich liebte, bevor ich sie kannte, Berufe, von denen ich tatsächlich nicht wusste, dass es sie gab.
Andererseits: vielleicht gibt es gar kein so enges Band zwischen mir heute und diesem damaligen Selbst. Vielleicht überschätzen wir das Eigene und das Wuchern unseres Egos über die Zeit . Könnte es nicht sein, dass wir viel eher durch die Zeit fließen? Und uns wie Wasserstrudel immer wieder neu bilden. Losgelöst von dem, was wir hinter uns lassen. Und wenn, wäre das wünschenswert? Vielleicht bekomme ich eine Antwort, nächsten Samstag, wenn ich zwischen meinen ehemaligen Mitschülerinnen sitze. Gespannt bin ich auf alle Fälle.
Madddin 24. April 2018
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich durch Treffen nach langer Zeit alte Verkrampfungen lösen können.
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