Retrospektiven über Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts sind spannend. Weil. Meist ist ihr Werk wenig bis gar nicht bekannt. Oft sind sie nach kurzer künstlerischer Blüte wieder im Familienzusammenhang verschwunden. Dennoch blieben sie Künstlerinnen, die gelegentlich oder spätestens im Alter wieder zu Pinsel, Stift oder Stichel griffen und erstaunliche – meist kleine – Werke schufen, die sich selten am Markt oder an der Konkurrenz orientierten, und entsprechend eigenwillig daher kommen. Könnerinnen, die schon früh, also bevor es en vogue wurde, ihren privaten Mythologien folgten oder sie in ihren Arbeiten ausbreiteten.
Jeanne Mammen, die am 21. November 1890 in Berlin geboren wurde, gehört zu diesen Überraschungs-Künstlerinnen. Zur Zeit – und noch bis zum 15. Januar – richtet ihr die Berlinische Galerie eine Retrospektive mit begleitenden Katalog aus. Sie durchläuft mit ihrer Schwester eine vollständige Ausbildung zur Malerin in Paris, Brüssel und Rom. Interessant schon hier, dass sie als Frau kaum Straßenbilder malen kann, die im Impressionismus der Zeit von den männlichen Kollegen zur Mode gemacht werden.
Mich interessiert ihr Spätwerk. Sie zieht sich in den 1950er Jahren aus dem Kunstbetrieb zurück, weil sie den Kampf zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit – ja was? Übertrieben findet? Unproduktiv? An der künstlerischen Sache vorbei? Oder weil sie keine Lust hat, Position zu beziehen? Ich weiß es nicht, staune, was sie macht, denn einerseits sind es fast kindliche Spielereien, zum Beispiel mit Stanniolpapier, andererseits sind es Strukturen, Farbschattierungen, Mosaike, exotisch-folkloristische Collagen, Geheimschriften, Illustrationen, gezeichnete Denkspiele. Wie das abgebildete Blatt, in dem Mammen Buddha in die Versuchungswüste schickt, in der eigentlich der Heilige Antonius zuhause ist.
Was hier entsteht, ist frei. Mammen schert sich wenig um Verkaufskompatibilität, auch wenn sie im Nachkriegsberlin nicht gerade im Luxus lebt. Heute, in Zeiten größter Marktaffinität, in der schon Künstler/innen auf den Hochschulen auf ihr Potential auf Kunststars abgescannt werden, ist dies eine entspannende Erfahrung. Jeanne Mammen macht. Macht vieles kaputt. Probiert aus. Verrennt sich und kommt aus selbst gewählten Sackgassen wieder heraus. Ganz am Ende kommt sie bei der Farbe Weiß an. „Ich habe jetzt eine ungesunde Vorliebe für Weiß“, sagt sie an ihrem 85. Geburtstag im November 1975 und prophezeit eine weitere Werkphase mit ausschließlich weißen Bildern. Dazu kommt es nicht mehr. Denn sie stirbt im Frühjahr 1976. Eine Außenseiterin. Sicher. Eine Zeitzeugin und ein Paar extrem neugieriger Augen. Eine, die sich nicht festlegen lässt, und tatsächlich so eine Überraschungen parat hat.
Myriade 10. Dezember 2017
Vielen Dank für den wertvollen Hinweis !
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papiertänzerin 11. Dezember 2017
Das klingt spannend & dann noch in Berlin. Danke für den Tipp!
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