Wenn das rote Monster schreibt, oder…

der ultimative Leitfaden für wissenschaftliche Hausarbeiten.

  1. Hätte es dieses Buch schon 20 Jahre früher gegeben, hätte ich keine Skrupel gekannt, universitäre Seminararbeiten zu schreiben und wäre nach 8 Semestern Regelstudienzeit mit einer gold prämierten Magisterarbeit nach Hause gegangen.
  2. Anne Carson liebt schlafende Figuren in der Literatur. Das ist sehr aufregend, weil den Schläfer/innen oft nicht genügend Aufmerksam geschenkt wird. Denn schlafende Personen sind keineswegs nur geparkt, weil die Handlung gerade woanders weitergeht.
  3. Die Idee, ein rotes Monster schreiben zu lassen, das die Nummerierung von Absätzen liebt, weil es sich dann klug wie Wittgenstein fühlt, ist grandios. Viele Student/innen sollten ihre Arbeiten auch nummerieren. Dann wäre schneller Schluss, denn Nummerieren widersetzt sich der Wiederholung.
  4. Es ist eine noch viel fantastischer Idee, ein schmales Buch über seine eigenes Lieblingsbuch zu schreiben. Weil es Lesende aus dem entsetzlichen Entzug nach Lektüre eben jenes Buches hilft. Und weil es ein Lieblingsbuch wunderbar über seinen eigenen Buchrücken zum Lesenden schiebt. Denn was ist ein Buch, wenn es nicht nach seinem letzten Satz in ein anderes Buch übergehen kann, wie ein wacher Mensch in einen schlafenden.
  5. „Albertine. 59 Liebesübungen“ handelt von jener Albertine, die in Prousts „Recherche“ eine weibliche Hauptrolle spielt. Sie nimmt in Band 5 des Romans (der Pléjade-Ausgabe, natürlich…) den meisten Platz ein. Der Band trägt den Titel „La Prisonnière“ (die Gefangene).
  6.  Was zum Kuckuck sind Liebesübungen?
  7. Eine überraschende Erkenntnis: Jede/r kennt Albertine, auch wenn nicht alle Menschen Prousts „Recherche“ gelesen haben. Dazu passt Carsons 59. Liebesübung:

„Alles ist tatsächlich mindestens zweifach.“ Proust in Die Gefangene.

  1. Auf die Liebesübungen folgen 16 aus 59 Appendizes. Was die Studierenden da alles lernen können!
  2. Zum Beispiel, wie man eine These aufstellt, sie ausbaut, verästelt und sie im nächsten Appendix wieder zurücknimmt. Geht alles.
  3. Beckett, Gide, Heraklit und Roland Barthes spielen bei Carsons Untersuchung von Prousts Albertine ebenfalls eine Rolle. Klug und lustig zugleich.
  4. Klug und lustig. Wieso gilt diese Kombination eigentlich als unwissenschaftlich?
  5. Es gibt auch die Frage, ob die Biografie eines Künstlers, einer Künstlerin dessen oder deren Werk erklären oder zumindest erhellen kann. Eine immer wieder ungelöste Frage. Mit unendlich vielen Antworten.
  6. Ein Buch, dass über Eck und uns Leser/innen Bälle zuspielt. Eine geniale Idee. Ich würde am liebsten gleich auch so etwas machen.
  7. Ein Buch, dass den Kopf lüftet, statt ihn vollzustopfen.

 

Mein herzlicher Danke geht an Matthes&Seitz für das Rezensionsexemplar.

 

 

Filed under: Rezension

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

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