Es gibt eine goldene Regel in der Literaturkritik: Bespreche kein Buch, das Du nicht vorher gelesen hast. Die Regel ist nicht nur golden, sondern auch sinnvoll. Denn von was soll ich schreiben, wenn ich mich nach drei Seiten Lektüre (wahlweise nach zehn, 153 oder was noch) davongeschlichen habe?
Das neue Buch der simbabwischen Schriftstellerin Petina Gappah läßt mich die goldene Regel vergessen. Ich habe gestern auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin nur eine Kurzgeschichte daraus gehört und möchte seitdem das Buch an alle und jeden weiterempfehlen. Denn was ich da hörte, hat mir den Atem genommen. In diesem Sinn ist dies also eine sehr begeisterte, aber keineswegs fundierte Notiz.
Petina Gappah schreibt Sprache als Musik und gleichzeitig beobachtet sie, erkennt, durchschaut, lacht und wütet. Ohne auch nur ein Gramm Sentimentalität zeigt sie das Grauen der Welt am Beispiel des Grauens, das sie als junge Afrikanerin in ihrem Heimatland erlebt hat. Und das sie heute minutiös aus Dokumenten und historischen Quellen rekonstruiert. Ich kann das noch gar nicht fassen oder beschreiben, was hier genau vor sich geht: Eine so präzise Schilderung moralischer Verfehlungen, ein absoluter Horrortrip, ein irrwitzig schneller Wechsel zwischen den verschiedensten Stimmungen, dazwischen komischste Momente, die mich beim Lesen/Hören hin- und herwerfen und dazu eine ungeheure Schönheit der Sprache. Politische und gleichzeitig überzeitliche Literatur, schöne Kunst. Das klingt wie ein Widerspruch, aber hier ist es keiner.
Dass die Übersetzung schwierig ist, wird in dem Gespräch, das Gabriele von Arnim mit der Autorin führt, schnell deutlich. In der englischen Übersetzung – Petina Gappah schreibt in Shona – gibt es ganze Passagen, die unübersetzt bleiben, um die ganz eigene Melodie der Sprache zu transportieren und weil man beim Lesen vielleicht nicht alles verstehen muss. Die deutsche Übersetzung verzichtet auf diese Lücke, d.h. es wurde alles übersetzt. Schade! Und ist es die Bequemlichkeit heutiger Leser/innen, auf die diese Übersetzung vorauseilend reagiert oder die Angst, Unverständlichkeit könnte der Lektüre ein Ende setzen ganz so wie im Rundfunk mittlerweile fast alles Sperrige nivelliert wird, um die Hörer bei Laune zu halten.
Der Leseabend war voller und funkelnder, als ich das heute Abend schildern kann. Eine tiefe Verbeugung noch vor Frank Arnold, der sich dem erzählenden Henker aus der vorgetragenen Geschichte „Fallhöhe“ (The dropper) mit jedem gelesenen Satz mehr anverwandelt hat.
Petina Gappah: Rotten Row. Faber & Faber. TB
papiertänzerin 13. September 2017
WOW!
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