Die beiden schienen verwachsen: Das Amt und der Mann. Meine ganze Jugend war Kohl-Ära, vielleicht ein Grund, weshalb ich mich als junge Frau nicht für Politik erwärmen konnte – nicht meine Welt! Und wie naiv! Viel später lernte ich Menschen in meinem Alter kennen, die einen ganz anderen Schluss gezogen hatten: Jetzt erst recht!
Seit Jahren schon ist Helmut Kohl von der Bildfläche verschwunden. Es gab hier und da Berichte über sein verkorkstes Privatleben, ansonsten haben wir die aktualisierte Variante im Kanzleramt: Muttimerkel (sorry, ich finde sie gar nicht so Mutti, es ist aber diese „sie macht das schon“-Aura, mit der sich letztlich auch Kohl schon umgab). Als Kohls erste Frau starb, war ich erschüttert. Ich habe sie einmal sehr kurz persönlich erlebt, trotz ihres sehr konservativen Aussehens hatte sie mich als lebendige, auch lustige Frau beeindruckt. Der Rest erschien wie aus einer schlechten Soap.
Es gibt heute einen Artikel von Stefan Kuzmany auf Spiegel-online, der sehr genau und vor allem klug und reflektiert auch meine Gefühle zum Tod des „schwarzen Riesen“ beschreibt: „Eine Jugend unter Kohl“. Kuzmany zielt darin auf den entscheidenden Punkt in Kohls Kanzlerschaft, den wir – oder ich zumindest – damals nicht gesehen habe/n: sein unbedingter Wille zu Europa. Für uns Heranwachsende in jener Zeit eine Selbstverständlichkeit. Ich bin in erster Linie als Europäerin, nicht als Deutsche erzogen worden – zumindest in der Schule und auch später in der Universität: Europa war einfach selbstverständlich. Dass dem nicht so ist, wissen wir allerspätestens sein den Brexitwünschen der Briten. Europa hatte auch für Helmut Schmidt oder Willy Brandt Priorität. Dennoch war es Helmut Kohl, der als Kanzler viel so selbstverständlich dafür getan hat. Das bleibt. Hoffentlich.