Statt Blumen

In einem anderen Jahr würde ich jetzt an der U-Bahn-Station Mehringdamm stehen und Rosen verteilen. Es ist Frauentag. In Berlin ist Feiertag. Und draußen ist Corona.

Um ehrlich zu sein – !? Ich bin nicht nur froh, stattdessen gerade mit einem Kaffee am Schreibtisch sitzen zu können, weil es trotz Sonne richtig kalt ist. Das Rosen-Verteilen war die letzten Male mehr wie ein Spießrutenlaufen. Es mag Zeiten gegeben haben, in denen sich die Frauen noch über eine Rose auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkauf, zur Kita gefreut haben. Heute bist Du nur der Depp, der im Weg steht, einen blöd anquatscht und auch noch zu einer Partei gehört – wahrlich das Letzte.

„Statt Blumen“ war also zunächst mal das Gebot der Stunde. Wir können dieses Jahr nicht raus. Und schnell kam die Frage, was würden wir Frauen uns – und den anderen Frauen – eigentlich statt dieser symbolischen Rose wünschen? Gar nicht so einfach. Erstmal sind Blumen für mich immer eine Freude. Warum also ersetzen? Aber gut. Es ist halt jetzt mal die Frage.

Ich gehe von der Blume erst mal weg zum Schenken. Gegen das Schenken habe ich gar nichts. Es ist für mich eine Geste der Überschwänglichkeit. Es ist ein Mehr, ein Ausbruch ins Großzügige, wenn es von Herzen kommt, ein Plus, kein Kalkül. Aber hier hängt die Geste manchmal schon schief. Als Kind habe ich das am Muttertag so empfunden: Der Mama jetzt mal für alles, was sie das ganze Jahr macht, ein paar Blumen und Pralinen oder was noch zu schenken. Das kam mir billig vor. Wie ein Freikaufen für das nächste lange Jahr – auch wenn ich die symbolische Absicht verstehen konnte.

Blumen-Schenken kann in diesem Sinn von oben herab kommen: So wie ein Trinkgeld, wenn es falsch gegeben wird. Es ist dann die Geste eines Überlegenen. Statt Blumen würde ich mir also mehr – warum nicht gleich – Gespräche wünschen. Wäre es möglich, wenn mich Männer nicht als ein Wesen wahrnehmen müssten, das erst noch gestimmt, besänftigt, zurechtgewiesen, hofiert, d.h. in irgendeiner Weise definiert werden muss? Könnte ich nicht qua Existenz als Gegenüber wahrgenommen werden: nicht geschlechtlos, nicht als Mann, sondern als gleichwertige Person?

Ich weiß – das ist sehr pauschal formuliert. Ich habe Freunde, Kollegen, Nachbarn, Verwandte, die mir mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen – und soweit ich das sehen kann, auch immer und immer wieder. Dennoch existiert die Schieflage, ebenfalls immer und immer wieder. Die Zurücksetzung, die ich als Frau, und damit als schwaches, schönes, hysterisches Geschlecht erfahre, ist mir derart zur Natur geworden, dass ich sie nicht mal mehr bemerke, sondern wie einen weiteren Teil meines Wesens mit mir herumtrage. Simone de Beauvoir war für mich die erste, die mir diese zweite Natur plausibel beschrieben hat. Schriftstellerinnen oder Journalistinnen sind bis heute damit beschäftigt. Und jedes Mal fällt es mir beim Lesen wie Schuppen von den Augen.

Mit dem Sprechen auf Augenhöhe ist übrigens, um das klar zu sagen, nicht nur Frauen geholfen. Wie unglücklich es aussieht, wenn sich Geschlechter nicht austauschen, nicht gemeinsame Sache machen, kann man vielleicht erst auf lange (historische) Sicht sehen, aus dem All (falls es Aliens gibt), oder aber auch an den Millionen gescheiterten Ehen, die oft nicht an fehlender oder versiegender Liebe kaputt gehen, sondern vor allem an mangelnder Solidarität.

Warum die Welt nicht ein Stück besser machen? Miteinander sprechen bedeutet ja nicht, nivellieren. Den gleichen Wert haben bedeutet nicht, gleich sein. Same, same, but different. So stelle ich mir das vor. Könnten wir das lernen, wäre es für mich ein ebenso bedeutender Schritt wie die Einhaltung der Klimaziele bis 2050 und besser noch bis 2040. Ein notwendiger und doch fast nicht machbarer Schritt. Und Ihr so? Was wünscht Ihr Euch statt Blumen?

Filed under: Allgemein

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 8

  1. amanita 8. März 2021

    Ich würde mir wünschen, dass die Pornoindustrie in die Zange genommen wird (strenge Auflagen für die Produktion, hohe Steuern, Zugang stark erschweren, keine öffentliche Diskussion). Das Frauenbild von Jungs und Mädchen, sowie das Selbstbild der Mädchen, wird durch Pornoprodukte früh negativ definiert. Porno hat einen „erzieherischen“ Effekt, besonders wenn sein Konsum als „normal“ propagiert wird.

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      • amanita 9. März 2021

        Das Seltsamste daran ist, dass viele Mädels inzwischen so sehr mit Pornos sozialisiert worden sind, dass sie glauben, sie würden sie selbst gerne sehen. Das muss eine Art Stockholm-Syndrom sein, oder eine zerstörte Beziehung zu den eigenen Gefühlen, oder die Freude daran, andere Frauen (Konkurrenz?) gedemütigt zu sehen, oder das gute alte „Ich tue nur allzu gern alles, um meinen Mann glücklich zu machen, sonst verliere ich ihn“ … Wohlgemerkt, ich spreche hier von Porno und nicht von Sex- oder Erotikszenen in Spielfilmen generell

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        • Stephanie Jaeckel 16. März 2021

          Ja, das ist eine Entwicklung, die ich so schon gar nicht mehr mitbekommen habe (Porno im Internet) – Die Idee, alles für mein Gegenüber (Partnerin, Partner) zu tun, um ihn oder sie glücklich zu machen, ist dagegen eine ur-ur-uralte Verkrümmung – keine Ahnung, wie die sich auswachsen lässt. Vielleicht wie meine Nackenblockaden auf der Yogamatte gerade: jeden Tag üben und ein bisschen mehr dehnen – bis Frau/Mann wieder gerade steht.

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  2. Ulli 8. März 2021

    Ich wünsche mir Dialog, damit wahr werden kann, was wir gleiches Recht für alle nennen und damit meine ich heute die Stellung der Frau, aber letztlich betrifft es auch die Felder von andersfarbigen, anderssexuell orientierten Menschen, alle Menschen mit einem Handicap etc.
    Rosen sind eine Geste, die gut gemeint ist, aber in meinen Augen nicht gut gemacht.
    Herzliche Grüße
    Ulli

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