„Wie wir begehren“

So lautet der Titel des 2012 erschienen Buchs von Carolin Emcke, in dem es um gleichgeschlechtliche Liebe geht und um das Erwachen der Sexualität in (?) Teenagern der 1970er Jahre – ein wirklich weites Feld… ich habe es selbst erlebt.

Und obwohl ich das Buch unbedingt zum Lesen anpreisen will, ist das hier keine Rezension. Ich bin auf der Suche nach Hinweisen über den Zusammenhang von Liebe und Freiheit auf das Buch gestoßen. Denn ich möchte wissen, ob Begehren immer ein Gefängnis werden muss, weil man sich zu sehr auf das Begehrte fokussiert. Oder ob es doch umgekehrt die Voraussetzung für Freiheit sein könnte. Wenn man (also in diesem Fall ich) darauf verzichten könnte, das, den oder die Begehrte/n zum alleinigen Zentrum des Leben zu machen? Und ob das wiederum eine bloße Illusion ist, weil man als Mensch am Ende eben doch nicht anders kann, als den oder die anfangs Fremde/n ins eigene Leben zu kolonialisieren.

Festschreibungen zu umgehen. Das schafft Carolin Emckes Buch mit einer Leichtigkeit, die mich umhaut. Sie bleibt immerzu beim scharfen Beobachten, was ich zum Beispiel bei der Wortlosigkeit, die in den 1970er Jahren beim Thema Sexualität herrschte, umwerfend finde. Ich selbst stoße hier immer wieder auf die großen „Löcher“ die ich als Heranwachsende spürte, Zonen, die unangenehm und interessant in einem waren, und die mit niemanden besprochen werden konnten, weil die, die darüber wussten, aus Scham schwiegen und die anderen genauso sprachlos waren, wie ich selbst.

Obwohl ich nicht homosexuell bin, habe ich mich in meinem Begehren immer als Außenseiterin empfunden. Vielleicht, weil ich das Modell „Vater, Mutter, Kind(er)“ von klein an verworfen habe. Wo begehrt man hin, wenn am Ende kein Haus da steht, oder nicht wenigstens eine geteilte Mietwohnung, ein Ring und gemeinsame Reisen?

Wo begehrt man hin, wenn das Fremde spannender ist, als das, was man kennt? Oder – um mit dem Kleinen Prinzen zu sprechen – wohin kann man ein Gegenüber zähmen, wenn man es nicht vereinnahmen will? Und wie kann ich mit Lust und großer Freude in eine Unsicherheit begehren ohne unentwegt einen Verlust zu fürchten? Oder allgemeiner: kommen Lust und Glück jemals zusammen?

Es berührt mich, dass Carolin Emcke gerade Musik als Möglichkeit beschreibt, die eigenen, unbennenbaren Gefühle zu erforschen. Es ist (vielleicht !?) – zumindest für Menschen, die Musik lieben –  ein bislang immer noch zu wenig bekannter Königsweg, sich im eigenen Liebesuniversum zurecht zu finden.

Kein Fazit. Auf jeden Fall ein hinreißendes Buch:

Carolin Ecke, Wie wir begehren, Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2012.

 

 

 

 

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 5

  1. Myriade 17. Februar 2018

    Ich habe mich lange und ausgiebig mit dem buddhistischen Ansatz von „jenseits von Hoffnung und Angst“ beschäftigt und habe daraus enorm viel gelernt zum Thema „besitzen wollen, besessen werden wollen und Freiheit innerhalb einer (Liebes)beziehung.“ Mein Fazit ist, dass die Nicht-Planung und Nicht-Ausrichtung auf Ziele wie Einfamilienhaus am Stadtrand, verpflichtende gemeinsame Urlaube etc. keineswegs zu kurzen, oberflächlichen Beziehungen führt. Eher im Gegenteil. Meine Erfahrung ist vor allem, dass die Frage „besitzen“ oder „frei sein“ in jedem Fall neu entschieden werden muss, die Balance nicht immer einfach ist und viele möglichst ehrliche Gespräche nötig sind um beidseitige Zufriedenheit herzustellen. Wichtig ist auch zu sehen, welche aus eigener Geschichte entsprungene Rolle man dem Partner auferlegen möchte und davon dann tunlichst Abstand zu nehmen 🙂 Wenn dies alles gelingt, so führt des zu sehr vielen Glücksmomenten.
    Ich selbst habe viele Jahre in so einer „zwei werden eins-Beziehung“ gelebt und diese Situation als extrem einengend empfunden. Jetzt lebe ich in einer völlig anderen Beziehung. Die Freiheit ist nicht immer leicht zu leben, weil ich sie erst lernen musste. Die Freiheit im Raum und die Übernahme der Verantwortung für das eigene Glück ist fantastisch, macht streckenweise aber auch Angst, weil sie in die klassische Familienstruktur so gar nicht hineinpasst

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    • Stephanie Jaeckel 17. Februar 2018

      Ich bin in zwei Dingen nicht ganz sicher – obwohl ich das, was Du beschreibst, als hoffnungsfrohe Perspektive begreife: Buddhismus und Gespräche. Denn da runzele ich etwas die Stirn: Nichts gegen beides. Aber als Christin habe ich ja dieselbe Freiheit wie jede/r Buddhist/in, (Beziehungs-)Gespräche sind mir dagegen meist suspekt – obwohl es natürlich gut ist, reden zu können…

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      • Myriade 17. Februar 2018

        Ich begreife Buddhismus nicht als Religion sondern als philosophisches System, das prinzipiell mit jeder Religion kompatibel ist. Es gibt ja im Buddhismus keinen Gott und die Frage, wer oder was die Welt erschaffen hat, ist sekundär bis inexistent. Es geht nur darum, wie man in diesem Leben so wie es eben ist, möglichst glücklich werden kann, als Einzelperson und als Menschheit. Für mich ist einfach das Hier-und-Jetzt-Denken statt des Prinzips Hoffnung eine große Bereicherung. Natürlich gibt es auch viele andere Zugänge zu einem möglichst glücklichen Leben.
        Was die Gespräche betrifft, so meine ich nicht die klassischen „Beziehungsgespräch“ bei denen man einander gegenseitig alles und jedes vorwirft. Ich meine die Art von Gesprächen, bei denen man so ehrlich und authentisch wie irgend möglich beschreibt, wie es einem in diesem Zusammenhang geht, dabei aber immer die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden übernimmt. Also ich bin glücklich, der Partner ist ein Teil dieses Glücks aber nicht für mein Glück verantwortlich sondern nur für seine Handlungen.
        Ich weiß, das klingt alles extrem theoretisch und kompliziert. Es lässt sich aber mit Leben erfüllen und ich halte es für ein sehr gutes Rezept ….

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        • Stephanie Jaeckel 18. Februar 2018

          Ich will nicht mäkelig sein, weil ich auch hier im Grunde d’accord bin, aber Christ sein ist in demselben Sinn Philosophie wie Buddhismus: Ein Weg zu einem gelungenen (vielleicht nicht glücklichen) Leben auf der Erde. Das aber nur in Klammern. Was das Reden angeht, bin ich tatsächlich unsicher. Es ist, und darin scheint mir der Vergleich mit der Musik ebenfalls eine so perfekte Parallele, eine Art unsicheres Unterfangen. Ich kann über Musik reden. Aber sage ich, was ich erlebt habe? Natürlich: Wir können immer reden. Ich frage mich nur, zum Beispiel seit ich Kyudo-Unterricht hatte (wo man hauptsächlich durch nachahmen lernt, als durch Hinweise der Lehrer/innen), ob reden nicht auch der Versuch einer Einhegung ist. O.K., wenn ich frage: „wie geht es Dir (damit)?“ will ich versuchen, den anderen zu verstehen. Aber könnte ich das möglicherweise nicht auch durch eigene Beobachtung? – Nein, ich weiß es wirklich nicht. Und nochmal, reden ist gut.

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