Selbstverständlichkeiten

Vielleicht ist es so, dass einem beim älter – oder warum auch nicht gleich – alt werden die Selbstverständlichkeiten weg bröckeln. Einerseits will ich denken: endlich! Ist doch blöd, dauernd im Käfig irgendwelcher aufgeschnappter oder selbstgebastelter Regeln zu laufen – möglichst immer noch schön mit einem Sicherheitsabstand zu den Gitterstäben.

Andererseits. Und zum Beispiel. Wie oft habe ich mich dafür gemocht, belastbar zu sein. Tatsächlich. Ich liebe gelegentliche Ochsentouren. Doch neuerdings bleibt die Motivation aus. Auch die Freude, wenn’s mal wieder geschafft ist. Statt dessen sehe ich in meiner Leistungsfähigkeit eben auch die Unfähigkeit, mal nichts zu leisten. Dabei hatte gerade meine Mutter in ihrer Alzheimerzeit für mich diese Erkenntnis so sichtbar gemacht: Jeder Mensch ist alles, auch in allergrößter Reduziertheit. Und dann sitze ich am Abend zu Hause am Schreibtisch und hasse mich dafür, den ganzen Tag lang nichts in Honorar oder Erkenntnis erbracht zu haben.

Ich habe nichts gegen Leistung. Aber es haut einfach nicht hin, sich nur zu mögen, wenn mal wieder alles glatt gelaufen ist (oder sogar noch besser als glatt). Das Selbstbild im schönen Glanz der Leistungsfähigkeit – nein, Leute. Nicht mehr in meinem Alter. Das könnte ich natürlich ausblenden. Aber ich fürchte, ich muss mit dieser unschönen Erkenntnis rumkommen. Und aus der Selbstverständlichkeit ausbrechen. Wohin auch immer.

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

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