Also, persönlich bin ich da ein ganz anderer Mensch…

dachte ich – vielleicht nicht wörtlich, aber so ähnlich – gestern, als ich in der Umkleidekabine stand: mit den Armen voller cooler Klamotten und ich darin wie ein ziemlich verlorenes und gerupftes Huhn. Geschenkt, ich habe in letzter Zeit zu viel gearbeitet, was nicht gerade für ein strahlendes Äußeres sorgt, ich bin mehr als grau um die Nase und der Frisör hat mich seit Wochen nicht gesehen. Auch das Outfit lässt zu wünschen übrig, schnell morgens in die Jeans, Pulli, Schal, bequeme Schuhe, fertig. Ist ja eigentlich o.k. Aber mein Spiegelbild hat mich dann doch erschreckt. Eine müde, farblose Frau, die sich ganz offensichtlich – auweia – mit neuem Chic aufmöbeln will.

Na gut, ich kann sicher sein, dass ich nächste Woche schon wieder etwas frischer aussehe. Und schlechte Tage gibt es immer. Aber dieses Gefühl, dass ich doch eigentlich ganz anders bin, hat mich im letzten Jahr öfters erschreckt. Denn es zeigt ja wohl eine Dissonanz zwischen dem, wie ich mich fühle (oder der, für die ich mich halte) und dem, wie ich wahrgenommen werde.

Während ich im Spiegel diese langweilige Person sah, erinnerte ich mich daran, dass nur die Sachen, die ich wirklich mache, die ich laut sage, Dinge die ich verschenke, Grenzen, die ich setze, Komplimente die ich mache usf. sichtbar sind, bzw. mich sichtbar machen. Eigentlich bräuchte ich ein ziemlich großes post-it, das mich täglich daran erinnert, dass es nicht reicht ein Bild von mir zu haben. Ich sollte es auch in die Welt setzen (im Sinne von realisieren, nicht von promoten). Also gut, zwei post-its: Ich kann auch die sein, die ich sein will, wenn wieder mal ein ganz stinknormaler Montag ist. Jep.

 

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 5

  1. papiertänzerin 27. April 2016

    … auch ich kenne dieses fremde, farblose Spiegel- Ich, das leider meistens auch viel älter ist als ich mich fühle. Vielleicht liegt es aber auch am Blick, den ich kritisch und mit bestimmten Erwartungen in den Spiegel werfe….deine Post-Its klebe ich mir heute an die Stirn 😉

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  2. Maren Wulf 28. April 2016

    Klasse Text, und das Gefühl kenne ich auch. Und innendrin ist offenbar trotz allem noch ganz viel Kraft, die dafür sorgt, dass der Blick in den Spiegel in diesen schlappen Phasen so viel Überraschung auslöst. 😉 Liebe Grüße!

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