Einzelkind sein

Fluch oder Segen? Die Zuschreibungen und Vorurteile kennen kaum Grenzen. Obwohl ich selten direkt angegangen worden wäre: Dass ich ein Einzelkind bin, hat mich für manche wahrscheinlich von vornherein suspekt gemacht.

Gemein, weil sich kein Kind gegen Geschwister entscheidet. Es kommen nur keine. Ob Kinder insgeheim wünschen, dass keine kommen, ist eine andere Geschichte. Ich selbst habe mir immer welche gewünscht. Erstens, um die Ältere zu sein und zweitens, um nicht mehr im Fokus meiner Eltern zu stehen, was sich, je älter ich wurde, zu einer echten Belastung auswuchs.

60er Jahre Einzelkinder hatten zumindest tagsüber Geschwister. Die Klassen platzten aus allen Nähten, in der Reihenhaussiedlung, in der ich groß wurde, hatten alle Gartenzäune Löcher, so dass wir Kinder ganz ohne die Straße zu betreten, Freund/innen besuchen konnten. Die Welt war damals tatsächlich klar getrennt – oder zumindest habe ich das so wahrgenommen – hier die Kinder, dort die Erwachsenen. Selbst als Einzelkind habe ich kaum mehr Zeit mit meinen (berufstätigen) Eltern verbracht als Geschwisterkinder. Diese Zeit habe ich auch nicht vermisst.

Meine Eltern haben mich nicht verwöhnt. Ich habe selten bekommen, was ich mir wünschte, und wenn ich besondere Aufmerksamkeit bekam, dann doch eher, wenn es ums Meckern ging. Einziges sichtbares Merkmal scheint mir bis heute, dass ich immer langsamer esse als Geschwisterkinder…

Dennoch denke ich, als Einzelkind einige Eigenschaften entwickelt zu haben, die sich mit Geschwistern vielleicht nicht so ausgeprägt hätten. Ich bin es gewohnt, alleine zu sein, und schätze das auch. Ich bin tatsächlich weniger gesellig, dennoch – vor allem tagsüber – sehr gerne unter Leuten, Freund/innen, Kolleg/innen. Nur abends, ja, ich mache gerne irgendwann die Tür hinter mir zu.

Weniger teamfähig zu sein, das habe ich an mir nicht beobachtet. Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl (wer kennt sich schon selbst!?), dass ich insgesamt weniger konkurriere, dafür mehr teile, auch Wissen oder Kenntnisse. Ich bin gewohnt, eigene Entscheidungen von niemandem in Frage gestellt zu bekommen. Deshalb treffe ich gerne welche und verteidige sie auch. Hier kommt es gelegentlich zu Missverständnissen. Weil diese Verteidigung oft als Ablehnung von anderen Vorschlägen gelesen wird. Dabei streite ich einfach nur gerne und lasse mich noch lieber überzeugen.

Konkurrenz ist überhaupt ein Thema – bis heute habe ich das Gefühl, an der Stelle viel zu naiv zu sein. Ich wittere keine Konkurrenz, bis ich überrascht feststelle, den Kürzeren gezogen zu haben. Nein. Das macht mich nicht zum besseren Menschen. Das ist einfach doof. Denn Konkurrenz zu akzeptieren, ohne gleich misstrauisch zu werden oder zur Kampfmaschine, gehört, wie ich denke, zu einem klugen Umgang mit anderen.

Angeblich fühlen sich Einzelkinder mehr zu musischen und kreativen Aufgaben hingezogen als Geschwisterkinder. Das wäre bei mir der Fall. Ist mir jedoch nicht ganz plausibel: Ich habe zahlreiche Geschwisterfreund/innen, die meine Interessen teilen. Aber es gibt, das wiederum finde ich irre interessant, Geschwisterkinder, die wie Einzelkinder wirken. Karl Lagerfeld wäre für mich ein prominentes Beispiel oder Andy Warhol. Ich habe aber auch einige in meinem Freund/innen-Kreis – und ich denke immer wieder erstaunt, ah, XY hat doch noch eine Schwester/einen Bruder (wie heißt sie/er nochmal?…) Wie ist das bei Euch? Seid Ihr Einzelkinder? Oder habt Ihr vielleicht Schwierigkeiten mit ihnen?

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 12

  1. Dresden Mutti 1. März 2019

    Ich merke mit zunehmendem Alter immer mehr, dass Familie doch ein ziemlich festes Band sein kann und das tut mir gut und ich hoffe für meine Töchter (5 & 4 Jahre alt), dass sie sich ihre Zweisamkeit bewahren können. Wir gegen den Rest der Welt. Das ist vielleicht, was Einzelkinder nicht haben können, aber wenn man bedenkt, wie viele Geschwister sich verstreiten, ist das vielleicht sowieso nur eine Illusion.

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    • Stephanie Jaeckel 1. März 2019

      Ja, das war es auch, was ich mir als Kind gewünscht hätte: eine/n Kompliz/in gegen die Elternfront: zwei Erwachsene gegen ein Kind war einfach unfair. Jetzt wünschte ich mir natürlich auch jemanden, mit der/dem ich die Pflege meiner Eltern teilen könnte. Aber gut. Manchmal kriegt man Sachen alleine besser hin, weil man nix absprechen muss. Ist ja auch was…

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    • wechselweib 1. März 2019

      Ich bin auch Einzelkind, als Kind habe ich das gehasst, ich hatte immer Freundinnen mit vielen Geschwistern und saß bei denen gerne mit unauffällig am Tisch.
      Ansonsten beobachte ich an mir viele Verhaltensweisen, die du auch für dich festgestellt hast: ich bin musisch und künstlerisch interessiert, naiv gegenüber Konkurrenz und habe kein Problem, zu meiner Meinung zu stehen. Allerdings habe ich lieber nachmittags meine Ruhe und gehe abends weg.

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    • Jo Wolf 1. März 2019

      … eines Einzelkindes entspricht.
      Ich bin ein Sonderfall, denke ich. habe zwar viele Geschwister, diese sind aber deutlich älter. Dadurch entsprach mein aufwachsen in manchen Punkten eher dem eines Einzelkindes.
      Ich halte mich nicht für verwöhnt, jedenfalls nicht was die Erfüllung von Wünschen angeht.
      Gesellig bin auf jeden Fall, bei uns war auch meistens viel los (Geschwister, deren Partner, Kinder im Haus). Dass allerdings oft in extremen Maß zu bestimmten „Stoßzeiten“ während zu anderen Zeiten gähnende Leere herrschte. Ich genieße Geselligkeit, brauche aber auch dringend viel Zeit für mich.
      Konfliktfähigkeit: Das haben die älteren eher unter sich ausgemacht. Ich musste mir den Umgang mit Konflikten mühsam anderswie beibringen, habe mich da als Kind auch lange sehr schwer mit getan. Dafür später umso mehr aufgeholt^^
      Ich bin sehr teamfähig, habe aber auch das erst in höherem Alter gelernt. Wirklich aufgefallen ist es mir erst in der Erzieherausbildung.^^
      Teilen… sehr gerne, manchmal schon übertrieben ausgeprägt. Dabei kommt es aber auch immer darauf an, wie nahe mir jemand steht, wie die Situation ist, worum es geht… gelegentlich kann ich sogar ins knickerige abgleiten.
      Meistens komme ich besser mit Geschwisterkindern als mit Einzelkindern aus… aber das ist mehr ein Gefühl als das es auf fundierten Messungen fußt. 😉
      Die Einzelkindfrage ist ohnehin so eine Sache… wir haben damals auch ständig draussen gespielt, waren von oft vielen Nachbarskindern umgeben, es wurde einfach über den Zaun geklettert, an der Küchentür geklopft, um zu fragen, ob wer rauskommt zum spielen. Wir waren im Grundschulalter schon mit dem Fahrrad einige Kilometer von zuhause weg im Wald und haben da Hütten gebaut oder sonstwas gespielt. Oder Fussball spielen, oder… Da gab es viel Miteinander, aber auch Konflikte. Was zuhause mit Geschwistern nicht erlebt wurde, konnte man auch da lernen. Zumindest teilweise. Geschwisterkinder bringen da allerdings in jungen Jahren oft schon mehr Konflikt(lösungs)strategien mit.
      Liebe Grüße, Jo =)

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      • Stephanie Jaeckel 1. März 2019

        Was Du schreibst, ist sehr interessant. Weil ich natürlich Konflikte als Kind immer schon mit Erwachsenen ausmachen musste. Ich wirke heute auf Geschwisterkinder oft, sagen wir, „besserwisserisch“. Ein schmerzhafter Vorwurf, weil mir äußerst bewusst ist, wie subjektiv viele „Wahrheiten“ sind. Möglicherweise kommt hier meine kindliche Erfahrung in Konfliktsituationen zum Tragen: dass ich von Anfang an mit „Klügeren“ oder zumindest Stärkeren argumentieren musste und von daher auch anders aufgetreten bin. Einzelkinderfreund/innen erleben mich da auch tatsächlich weniger „von oben herab“ als eher originell. – Ansonsten habe ich früher natürlich auch viel auf der Straße gespielt. Wir wurden ja nicht beaufsichtigt. Ich war nicht mal ein Schlüsselkind, weil meine Eltern mir nie einen Schlüssel gegeben hatten. Wenn ich raus ging, musste ich sehen, wie ich den Nachmittag überbrückte, bis dass mein Vater nach Hause kam. Das war aber auch gar kein Problem. Irgendwo war immer was los. Das hat eben dazu geführt, dass ich sehr früh sehr gut für mich sorgen konnte. Meine Schwierigkeiten fingen eigentlich erst in der Pubertät an, als ich plötzlich eine Frau war und was weiß ich nicht mehr durfte. Zum Beispiel alleine in den Park. Wäre mir als Kind überhaupt nicht in den Kopf gekommen…

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        • Jo Wolf 2. März 2019

          Das anders auftreten in Konfliktsituationen (und Debatten) ist ein interessanter Punkt. Den habe ihc bei mir auch erst sehr spät realisiert… dass es so ist und woher es kommt. Von Haus aus, hatte ich da einen Sonderstatus, der für mein Umfeld „da draussen“ nicht mehr passte.
          Die Schlüsselkindsituation ist mir völlig fremd gewesen. Bei uns war so gut wie immer jemand zuhause. Im Zweifelsfall bin ich nochmal nen Weilchen zu den Nachbarn rüber, da war ich eh oft zum spielen.

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  2. frauhemingistunterwegs 1. März 2019

    Ach, die Besserwisserei…die habe ich als Älteste von vier Geschwistern gepachtet, da kann ein Einzelkind nicht mithalten
    😉 Witzig, dass du das mit dem Essen angesprochen hast. Mein Mann ist nämlich Einzelkind und war zu Anfang der Beziehung völlig überfordert von einem großen Familientisch, an dem alle gleichzeitig nach den Schüsseln greifen.

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  3. Anhora 1. März 2019

    So, wie du dich beschreibst, würde es im Wesentlichen auch auf mich zutreffen. Ich bin aber die Älteste von drei Geschwistern.
    Es hängt doch viel auch mit Veranlagungen zusammen, mit der Persönlichkeit der Eltern und welche Lebenserfahrungen man gemacht hat.
    Ich bin wahrscheinlich nur in einem typisch Geschwisterkind: Ich esse ziemlich schnell. Dabei wollte mir nie jemand etwas wegnehmen. 😉

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    • Stephanie Jaeckel 2. März 2019

      Klar, natürlich: Ich denke nicht, dass man nur das oder jenes ist, weil man als Einzelkind gelebt hat, als zweites oder drittes Geschwisterkind. Mir stand nur, als ich darüber nachdachte, so klar vor Augen, wie unterschiedliche Erfahrungen gerade in der Kindheit Gewohnheiten ausprägen können. In diesem Zusammenhang schien mir plötzlich ein bestimmtes Konfliktmuster vielleicht nicht gelöst, aber zumindest in einem neuen Licht.

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      • Anhora 2. März 2019

        Es ist nie verkehrt, die eigenen Verhaltensmuster zu hinterfragen, und manchmal kommt man auf Prägungen aus der Kindheit. Manchmal erkennt man auch, dass ein Elternteil oder Verwandte dieselbe Angewohnheit/Macke/sonstwas hat, und dann sinds vielleicht die Gene. Ich finde das beruhigend, man kann und muss nicht gegen alles ankämpfen an sich selbst. Manches ist einfach so, es hat einen Grund und damit gut. 🙂

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