Um es vorweg zu nehmen: Ich weiß es nicht. So lange die Frage im Raum steht, ich kann mich zu keiner Antwort durchringen. Ich habe keinen Organspende-Ausweis. Wenn ich noch ein paar Jahre warte, sind meine Organe möglicherweise auch zu nichts mehr zu gebrauchen und die Sache hätte sich erledigt.
Die Debatte ist neu gestartet mit dem Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass alle Bundesbürger/innen automatisch Organspender/innen werden, außer sie erheben explizit Einspruch. Diese Regelung finde ich fatal. Allein schon, weil ich etwas so existentielles nicht an mein „Vaterland“ geknüpft wissen will.
Darüber hinaus: Ich bin ein Mensch. Meine Organe gehören zu mir als Person wie meine Gedanken, mein Fühlen, meine Seele. Und das möchte ich nicht in dem Sinn missverstanden wissen „mein Haus, mein Auto, meine Kronjuwelen“. Jahrtausendelang haben Menschen ihre Toten geehrt und mit Sorgfalt beerdigt. Wir können natürlich denken, dass wir über diese „primitiven“ Lebensweisen längst hinaus sind, dass wir, seitdem der Fortschritt auf der Welt Einzug gehalten hat, uns effizient und vor allem unsentimental den Notwendigkeiten stellen. Und seit wir Organe verpflanzen können, sind wir nun mal in der Lage, Menschenleben auch auf diese Art und Weise zu retten.
Ich bin keineswegs gegen Transplantationen. Was mich stört, ist das Selbstverständnis, mit dem über mein – sagen wir „Lebensmaterial“ – verfügt werden soll. Weil ich fürchte, dass dies zu einem anderen Bild vom Menschen führt. Einem, in dem wir eben nicht mehr „unantastbar“ sind. Ich kann mir durchaus vorstellen, ein Organ zu spenden. Ich bin mir nicht so sicher – aber das würde sich natürlich im Ernstfall zeigen – ob ich ein Spenderorgan annehmen wollte. Weil ich eben auch meinen Tod respektiere. Ja, ja, und nochmal ja. Selbstverständlich würde ich mich operieren lassen, ich gehe auch zum Zahnarzt und ich lasse mich impfen. Aber der Ausfall eines ganzen Organs wäre für mich die Grenze. Und hier beginnt auch die Schieflage meiner Argumentation. Weil: Es wird in Zukunft immer mehr möglich werden. Ein „natürlicher“ Tod wahrscheinlich immer seltener (bzw. immer später). Und genau an dieser Stelle hänge ich zwischen Baum und Borke. Zumal ich die Idee, einem anderen Menschen nach meinem Tod ein besseres (oder überhaupt ein) Leben zu sichern, mehr als gut finde. Habt Ihr Euch Gedanken zu dem Thema gemacht – oder Entscheidungen getroffen? Das würde mich interessieren!
mannigfaltiges 6. September 2018
Mir geht es 1 zu 1 genau so wie dir, also bin ich auch keine Hilfe.
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mannigfaltiges 6. September 2018
Eine Ergänzung: https://www.sueddeutsche.de/politik/organspende-kommentar-1.4114750
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Stephanie Jaeckel 6. September 2018
Danke für den Hinweis. Der Artikel bringt mich zwar noch nicht zu einer persönlichen Entscheidung, doch was ich da lese, macht mir das, was ich gerade denke, plausibel.
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finbarsgift 6. September 2018
Ich finde Spahns Vorschlag völlig daneben!
Was hat dieser Typ für eine Vorstellung von sterbenden Menschen!
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Lesen... in vollen Zügen 6. September 2018
Ich fand das Thema lange Zeit auch ziemlich schwierig, bis ich hörte, daß die Wahrscheinlichkeit, daß ich neue Organe brauchen werde etwa viermal höher ist, als daß ich welche spenden werde. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wie es mir wohl gehen würde, wenn ich Organe bräuchte, warum machte ich mir also so viele Gedanken darüber, sie zu spenden?
Mein Organspendeausweis steckt also im Geldbeutel, neben Knochenmarkspendeausweis und Blutspendeausweis, was ich auch regelmäßig mache.
Ich denke mir immer folgendes: wenn meinen Kindern etwas passieren würde, was hoffentlich nie passieren wird, bin ich darauf angewiesen, daß jemand sie mit seiner Spende retten wird. Wenn niemand dazu bereit ist, werden sie auch nicht gerettet werden.
Man muss selbst dazu bereit sein, das zu tun, von dem man hofft, das andere es für einen tun werden. Sonst tut es niemand.
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Stephanie Jaeckel 6. September 2018
Ich kann Deine Motivation gut verstehen. Wahrscheinlich würde ich genauso denken, wenn ich Kinder hätte. Ich vermute, dass ich eine Transplantation für mich ablehnen würde. Aber natürlich wird es Fälle geben, z.B. eine Notoperation oder ein Unfall, wo ich nicht gefragt werde. Und klar, vielleicht wäre ich am Ende doch anderer Meinung. Für mich ist der Tod eine Realität, an der ich nicht „rumschrauben“ will. Aber wo Machbarkeit selbstverständlich wird…? – Vielleicht sollte ich mir noch einmal die Kosten anschauen oder mich mit solchen Zahlen wie „viermal so häufig“ (wer sagt das?) auseinandersetzen. Danke für Deine Hinweise.
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Lesen... in vollen Zügen 6. September 2018
So… An der Stelle muss ich mich mal korrigieren, weil ich besser vorher gegoogelt hätte als einfach so „viermal“ zu sagen, was mir mal gesagt wurde.
Die Realität sieht so aus: letztes Jahr wurden weniger als 800 Organspenden in Deutschland durchgeführt, dabei wurden im Schnitt etwas mehr als drei Organe entnommen.
Ende des Jahres standen mehr als 10.000 Menschen auf der Warteliste für Organspenden!
Also streichen wir das „etwa viermal“. Richtig müsste es heißen: Die Wahrscheinlichkeit, daß du ein Organ brauchen wirst ist mehr als zehnmal höher, als die, daß du eines spenden wirst.
(Gegoogelt bei organspende-info)
Und klar, es sollte jedem selbst überlassen werden, ob er spenden/empfangen will, aber ich muss dann ganz ehrlich sagen, daß ich fände, es wäre nur fair, wenn man Leute mit Spendeausweis, die vielleicht schon in der Vergangenheit Blut oder Knochenmark gespendet haben, dann auch auf der Liste nach oben schiebt. (Wobei natürlich Kinder und Menschen, die aus dem gesundheitlichen Gründen nicht spenden dürfen, nicht benachteiligt werden dürfen.)
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Stephanie Jaeckel 6. September 2018
Nein, ich glaube, die Rechnung geht so nicht ganz auf. Oder spendet man nur ein Organ (ich dachte, die nehmen dann alles, was noch „brauchbar“ ist)? Noch einmal danke für den Hinweis, ich werde mich auf jeden Fall über die Seite organspende-info schlau machen. Können Kinder eigentlich Erwachsenen-Organe eingesetzt bekommen, oder spenden auch schon Deine Kinder?
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Lesen... in vollen Zügen 6. September 2018
Pro Organspende werden wohl 3,3 Organe entnommen. Also fehlen immer noch etwa 7000 Organe.
Kinder können soweit ich weiß nur Kindern spenden. Zumindest kommt es bei bestimmten Organen auf die Größe an. Also würde ich meinen Kindern Organe entnehmen lassen, wenn sie von zwei verschiedenen Ärzten für Hirntot erklärt werden würden…?
Das ist vielleicht so ziemlich die persönlichste Frage, die man gestellt gekommen kann und ich muss dir ganz ehrlich sagen, ich kann sie dir nicht beantworten, schon alleine aus dem Grund, daß sie nicht alleine meine Kinder sind.
Wie gesagt… Die Wahrscheinlichkeit, daß sie ein Organ brauchen werden ist höher, als die, daß sie spenden werden.
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mannigfaltiges 6. September 2018
Nur ein kurzer Zwischenruf: was macht man mit denen die aus irgendwelchen Gründen nicht für eine Organspende geeignet sind, aber ein Organ benötigen. Welchen Platz auf der Liste dürfen diese einnehmen?
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Lesen... in vollen Zügen 6. September 2018
Oje… Ich hab eigentlich nur meine Meinung dazu gesagt und wollte nicht in eine Grundsatzdiskussion verwickelt werden. Es gibt Ethikkommissionen die jeden Einzelfall entscheiden. Ich bin keine Ethikkommission, ich habe nur gesagt, daß ich grundsätzlich dazu bereit bin zu spenden. Das wars dann auch von meiner Seite.
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Stephanie Jaeckel 6. September 2018
Ja, danke für Deine Kommentare. Ich bin noch am Anfang mit meinen Überlegungen und da kommen ja immer die meisten Fragen. Ich werde auf jeden Fall jetzt dranbleiben.
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Tanja im Norden 7. September 2018
Ich denke, wer unsicher ist, kann doch trotzdem den Ausweis haben und „nein“ ankreuzen. Solltet Ihr Eure Meinung ändern, dann ist ein neuer Ausweis rasch ausgefüllt. Grundsätzlich finde ich die vorgeschlagene Regelung in Ordnung. Ich interpretiere sie für mich persönlich so: es muss jeder frei entscheiden dürfen. Und eine Ablehnung der Organspende muss bedingungslos akzeptiert werden. Aber es ist zumutbar, bei so einem wichtigen Thema auch eine Meinung haben zu müssen und sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Und ich befürchte, dass doch viele Menschen nicht wegen Zweifeln keinen Ausweis haben, sondern weil sie nicht darüber nachdenken möchten. Oder vielleicht auch, weil zu häufig der Ausweis mit der Spendenbereitschaft gleichgesetzt wird. Dabei bietet er heute schon die Option „Nein!“. Damit erleichtert man im Ernstfall der Familie das Leben, weil man die Entscheidung nicht den Angehörigen zumutet.
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Stephanie Jaeckel 7. September 2018
Danke für den Hinweis! Einen Ausweis mit Nein, das der auch so funktioniert, wusste ich nicht. Das nimmt mir zwar noch nicht die Entscheidung ab, aber damit wäre klar, dass auch sonst niemand damit belästigt werden müsste.
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Tanja im Norden 7. September 2018
Ich glaube alle Ausweise haben dieses Feld. Interressant finde ich Deine Überlegung zum Organempfang. Bisher bin ich noch gar nicht auf den Gedanken gekommen, darüber nachzudenken. Vermutlich ist das sehr schwierig, solange man gesund ist.
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Stephanie Jaeckel 7. September 2018
Das ist für mich eine naheliegende Perspektive: Bevor ich etwas spende, muss ich doch wissen, ob ich eine solche Spende selbst annehmen würde. Nicht, dass dies die einzige Frage wäre. Aber was passiert, wenn immer mehr möglich ist? Oder: wollen wir in jedem Fall eine Lebensverlängerung? Oder: Wie ändert sich ein Menschenbild, wenn wir uns auf solche neuen Möglichkeiten einlassen?
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Tanja im Norden 7. September 2018
Da hast Du recht. Ich glaube schon, dass ich Organ wollte. Spenden würde ich es. Ich bin dann ja schon tot. Zurückgeschreckt bin ich vor dem Registrieren als potentielle Knochenmarkspenderin. Mich für einen fremden Menschen ins Krankenhaus legen schaffe ich glaube ich nicht.
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Stephanie Jaeckel 7. September 2018
Interessant, das wäre für mich umgekehrt. Vielleicht sollte ich mich als Knochenmarkspenderin melden. Das könnte ja eine Lösung sein.
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papiertänzerin 9. September 2018
Kinder zu haben, kann auch zur gegenteiligen Entscheidung führen. Ich habe von Eltern gelesen, die ihre Entscheidung ihr totes Kind zur Organspende freizugeben bitter bereut haben. Weil Sterben und Tod des eigenen Kindes (sowieso schon unfassbar) noch schwerer zu verstehen ist, wenn der Prozess des allmählichen Abschieds auch vom Körper des Kindes fehlt. Denn Organe müssen ja leider entnommen werden, wenn das Gehirn zwar tot, der Körper aber noch warm & lebendig ist. Auch der Tod ist ein Prozess, und für mich aus persönlicher Erfahrung eine Reise, die ich bei meinen Liebsten mitgehen will von Anfang bis Ende. Weil sich der Tod für mich nicht allein über den Verstand begreifen läßt (Maschine stellt den Hirntod fest), sondern es dafür auch die sinnlich konkrete Erfahrung braucht. Könnte mir ja egal sein, wenn ich selbst tot bin, aber ich selbst würde mir mit dem Abschied auch gern Zeit lassen (wer weiß schon, was da passiert?!) & für meine Familie wünsche ich es mir auch so.
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Stephanie Jaeckel 9. September 2018
Grundsätzlich geht mir das auch so. Die Organentnahme muss sofort geschehen, und das kann in einem Fall, wo vielleicht jemand, den man kennt, direkt weiter operiert werden kann, erträglich sein, aber extrem verstörend, wenn es anonym geschieht. Schon so ist es oft schwierig, gerade gestorbene alte Menschen in Heimen noch ein paar Stunden (ein ganzer Tag ist längst nicht mehr drin) auf ihrem Bett liegen zu lassen. Vielleicht sind wir eben einfach noch nicht so weit, ausgefallene Organe zu ersetzen. Wäre das eine Grenze, die wir alle akzeptieren könnten?
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