Leerlauf

Wir müssen reden. Einmal mehr über Kunst. Die Journalistin Nicole Zepter hat aus Enttäuschung ein Buch geschrieben, laut Klappentext „eine furiose, klug und witzig formulierte Polemik gegen den Kunstbetrieb“, mit dem Titel „Kunst hassen“ – ein schöner Titel für einen Inlandsflug, ein kleines Bändchen, leicht und nicht allzu teuer.

Vorab: Kunstinteressierte zu ermuntern, die eigenen Gefühle oder Gedanken vor Kunst zuzulassen, ist immer noch eine beste Idee, denn die von Nicole Zepter diagnostizierte Unsicherheit des Publikums vor der musealen (und auch übrigen) Inszenierung hält an. Sogar ich (d.h. ich als Kunsthistorikerin) bin gelegentlich verunsichert, obwohl ich schon mal nicht den oft horrenden (für mein Portemonnaie, nicht für die Häuser, die damit ja ihre Schauen, Depots und Mitarbeiter/innen mitfinanzieren müssen) Eintritt zahlen muss. Auch im luxemburgischen MUDAM (nur als Beispiel), das ich neulich besucht habe, beschlich mich anfangs der Verdacht, in einer riesigen (und fantastisch gestalteten) Garage unterwegs zu sein, in der merkwürdige Gegenstände abgestellt sind.

Hier liegt natürlich schon ein Hase im Pfeffer. Denn letztlich ist es jeder und jedem anheim gestellt, wie sie oder er mit genau diesem Gefühl umgeht. Zu viel Didaktik hilft nie. Wer jetzt sagt: „Liebe Leute, das ist normal. Geht erst mal weiter, und guckt, was passiert“, verletzt tatsächlich schon die wesentliche Respekt-Regel, Leuten auf Augenhöhe zu begegnen (jajaja, auch Kindern). Selbst wenn das vielleicht helfen und zu mehr Neugier anspornen würde. Andererseits wäre vermutlich genau durch solche Sätze mehr gewonnen, als durch viel Lamentieren oder Schuld-Suchen (auch Nicole Zepter macht leider sehr schnell das böse Geld und die wenigen selbsternannten Kunst-Sachverständigen verantwortlich).

Eine eigene Haltung, eine eigene Meinung zu entwickeln – auch wenn das Ergebnis am Ende heißt „ich hasse Kunst“ – oder dieses oder jenes „Meister“-Werk – sei dringend nötig, um den Kunstbetrieb wieder lebendig und auf eine Weise für alle Beteiligten relevant zu machen. Dafür plädiert Frau Zepter, und ich bin unbedingt bei ihr. Aber dann folgt Seitenweise Leerlauf. Ich lese und lese, in der Hoffnung, über den „falschen Respekt“ vor der Kunstwelt mehr zu erfahren, oder Erkenntnisse darüber zu finden, wie ein banal daherkommendes Werk plötzlich Gehalt in meinen Augen bekommt – oder eben gerade nicht. Carsten Höller wird sehr prominent als Beispiel angeführt, auch Bruce Naumann, beides Künstler, mit denen ich immer wieder hadere. Und dann höre ich, was die Ausstellungsmacher dazu zu sagen haben, und bin so schlau wie zuvor. Denn sofort wird Bedeutung und Inhalt serviert, nicht unbedingt das, was laut Zepter für eine Rezeption nötig ist, und mein Kunstgenuss klatscht schon wieder in dieselbe ausgetreten Sackgasse des rationalen Herangehens, wo doch vielleicht eigene Fantasie, eigene Ideen oder auch Kritik angebracht sein könnten.

Eine eigene Meinung zu entwickeln, indem man das Gesehene und Nicht-Verstandene erst mal „Mist“ findet – ja, meinetwegen. Aber schnell wird klar, dass dieser Weg nicht viel weiter führt als die meist reflexhaft gezeigte (oder zumindest versuchte) Affirmation. Es nur machen, weil es sonst niemand (echt jetzt?) macht, weil Kunst ein hierarchisches System ist, weil wir den Geniekult endlich überwinden sollten oder weil wir damit ein Tabu verletzen. Nein. Am Ende ist mir das zuwenig. Ein Museum doof finden, nur weil es schön ist? Leute, es ist ein Angebot! Nicht unbedingt Wellness – oder eben nur dann, wenn ich mich in diesem Ambiente auf Wellness einschwinge. Ich kann hier auch nachdenken, und warum nicht in der Sonne mit einem Kaffee in der Hand? Ein Museum doof finden, nur weil es eine mit viel Geld subventionierte, schwerfällige Institution ist? Auch hier: Sorry, nein. Museen sind nach wie vor die Orte, wo Kunst zu finden ist. Und zwar immer noch mit viel Ruhe und Kontemplation versehen (der „white cube“ mag unmodern geworden sein, oder in seiner Künstlichkeit längst entlarvt. Ist mir aber lieber als alle möglichen lebendigen Inszenierungen, die statt dessen angeboten werden). Man mag sich darüber ärgern, dass Museen dazu mißbraucht werden, zeitgenössische Kunst marktfähig, bzw. teuer zu machen. Aber Missbrauch ist bei Geld nie weit entfernt. Nicht, dass ich es gut finde. Und nicht, dass ich nicht aufschreie, wenn ich den Verdacht habe. Aber deshalb Museen und die dort gezeigte Kunst hassen.

Geschenkt, dass viel Kommerz im Spiel ist. Dass Kunsthistoriker/innen in einen Speech fallen, der – bei Licht besehen – bullshit ist (oder sein kann – ist ja nicht immer der Fall). Dass Betriebsblindheit vorherrscht. Dass Hierarchien immer noch weitergetragen werden. Dass kaum jemand sich traut, ohne „Expertise“ etwas zu sagen. Aber das ist alles nur Vorwand. Kunst solle mutig sein, sagt Nicole Zepter ganz zu Anfang. Ja, ja und nochmal ja. Aber die Kunstbetrachter/in muss eben auch mutig sein. Und das kann uns niemand abnehmen. Entweder ich lasse mich auch auf schlechte Kunst ein, um am Ende zu sagen, „puh, nee, war das kacke“, oder ich missverstehe die Welt.

Nein, ich habe das Buch nicht zu Ende gelesen. Es hat mich enttäuscht. Denn obwohl im Vorwort steht, es gehe nicht um Kulturpessimismus, war mir zu wenig Spass drin. Immer weiter auf den Sack hauen, ist auch kein Programm.

 

Nicole Zepter, Kunst hassen, Stuttgart 2013/17. 8,00 €

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 10

    • Stephanie Jaeckel 20. Mai 2018

      Schade eigentlich. Ich meine – und wenn ich das richtig verstanden habe, ist Frau Zepter auch dieser Meinung – warum mal nicht sich wagen? Ich kenne mich auf vielen Gebieten was von nicht aus, in Gegenwart von befreundeten Expert/innen zumindest wage ich schon mal Thesen. Klar, ich liege oft falsch. Aber manchen Denkanstoss habe ich schon hinbekommen. Und wie ich schreibe, Kunstbetrachterinnen sollten auch und vor allem mutig sein 😉.

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        • Stephanie Jaeckel 20. Mai 2018

          Bei Expertisen brauche ich keinen Mut, das ist ja mein Job. Aber bei, sagen wir Klassischer Musik weiß ich auch nicht viel, äußere mich aber trotzdem. Und sage auch hörbar, wenn mir was nicht gefällt. Nicht, dass ich in Konzerten Bambule mache, das fände ich den Musiker/innen gegenüber unhöflich, aber ich kann mich in Gespräche verwickeln lassen und dabei bleiben, etwas schlecht zu finden. Übrigens lasse ich mich auch gerne vom Gegenteil überzeugen.

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  1. mannigfaltiges 20. Mai 2018

    Ich habe es mir gekauft und durfte es lesen. Kapiert habe ich nicht viel. Vielleicht hätte ich nicht so viel querlesen sollen. Ich fiel auf den Klappentext von E. Roll herein. Da stand was von „witzig formulierte Polemik“. Viele Stellen waren es jetzt nicht, die man so bezeichnen könnte. Aber ich versteh auch nicht viel von Kunst und dem Kunstbetrieb. Vielleicht bin ich dazu zu einfach gestrickt. Ich denke auch nicht viel über Kunst nach, ich genieße sie oder finde sie Mist (das andere Wort wäre mir jetzt lieber gewesen, aber die Erziehung…).

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    • Stephanie Jaeckel 20. Mai 2018

      Na, ich glaube nicht, dass man für Kunst oder Kunstbetrieb zu einfach gestrickt sein kann. Da wird – wie überall – auch nur mit Wasser gekocht. Über Kunst nachdenken, ist eine Möglichkeit, die vorgegeben ist. Man kann das. Muss das aber nicht. Dinge nur schön oder nicht schön zu finden, wäre mir zu wenig – aber eben, dafür bin ich nun mal Kunsthistorikerin geworden…

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      • mannigfaltiges 21. Mai 2018

        Schön oder nicht schön ist nicht unbedingt das Hauptkriterium. Interessant muss es sein. Und ja doch, ich gebe es ja zu, Kunst soll mich irgendwie anregen. Entweder zum nachdenken oder einfach zum schwelgen (also doch wieder: Ach ist das schön!) Und zugänglich soll sie sein. Ich werde mich nicht in Warteschlangen stellen, um Kunst zu sehen. Die ML o. ä. werde ich wohl nie im Original zu Gesicht bekommen. Außerdem finde ich das Bild eh langweilig.

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        • Stephanie Jaeckel 21. Mai 2018

          Schwelgen ist ja nicht bloß schwelgen – hier kann Kunst zur Höchstform auflaufen: 1. uns für den Alltag wieder empfänglich machen und 2. Utopie at its best! – Warteschlangen sind dagegen eine Erfindung der Marketingabteilungen. Muss gar nicht, wenn man sich darauf beschränkt, in die Sammlungen zu gehen. Im MUDAM war ich mit meiner Freundin und sechs oder sieben anderen Besucher/innen alleine. In den späten 90er Jahren habe ich auch noch alleine vor der Mona Lisa gestanden. Der Louvre hatte damals Abendöffnungszeiten. Ab 20:00 war da Ende mit Publikum. Kannst Du in anderen Häusern auch mal probieren, falls es noch Abendöffnungszeiten gibt. Und hier dann doch noch eine Einschränkung: Mona Lisa ist nicht langweilig. Da unterscheidet sich eben ein Original immer und immer und immer wieder von seinen Reproduktionen.

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