Mit der Hand schreiben – und ein Plädoyer fürs Tippen

Als Kind war für mich die Sache noch klar: Schreiben bedeutete einen Stift halten und über Papier führen. Tippen war etwas anderes. Ein Beruf für Frauen – oder hießen die nicht Tippsen? Steno war natürlich wieder was anderes, und ich dafür voller Bewunderung (übrigens bis heute). Steno ging auch nur mit Stift und Papier.

Heute heißt für mich Schreiben „texten“. Das hat mir meinem Beruf zu tun. Den Beruf wiederum führe ich ausschließlich am Computer aus. Nein, halt! Das stimmt nicht ganz. Es gibt Vorarbeiten zu den Texten, die ich mit dem Stift erledige: exzerpieren (meistens), Interviews mitschreiben (oft auch, wenn das Band läuft), Ideen notieren (nicht durchgängig, mache ich auch am Rechner).

Meine Handschrift hat sich im Laufe meines Lebens dramatisch verändert. Früher war sie lesbar. Heute ist sie eine Zumutung (auch für mich). Völlig zerrüttet wurde sie während des Studiums, als ich im Exzerpieren fast erstickt wäre. Ich bin darüber nicht froh. Wenn meine Handschrift tatsächlich meinen Charakter zeigt: Auweia! Mein Großvater war, nachdem er seinen Beruf als Konditor an den Nagel gehängt hatte (er hatte den Krieg als Koch an der Front überlebt), in einer Firma als Schönschreiber für die ausgehende Post angestellt (das war zumindest ein Teil seiner Arbeit). Er schrieb mit gleichmäßigen Bögen ganz so wie er meine Geburtstagsbuttercremetorte mit hinreißenden Kringeln versah.

Erst vor zwei, drei Jahren wurde mir bewusst, dass Kinder heute nicht mehr so schreiben lernen, wie ich das getan habe. Da erzählte mir ein Nachbar, dass seine Kinder nur noch Druckbuchstaben lernen, und es brauchte eine ganze Weile, bis ich überhaupt verstand, was er meinte. Dass Schulkinder heute mehr wischen und tippen, als mit der Hand schreiben, habe ich mittlerweile gesehen, ihre Schrift ist tatsächlich schon früh so, wie meine nach der Verwüstung des Studiums. Und echt jetzt – das soll schaden?

Es gibt bei mir merkwürdige Befunde: Früher habe ich mich nur vertippt. Heute verschreibe ich mich tatsächlich manchmal. Ich notiere mir Gedanken aus Büchern oder Vorträgen mit der Hand. Ich schreibe nie auch nur einen einzigen Text-Satz auf Papier. Ich schreibe schon gar keinen Brief mehr mit der Hand. Könnte keiner lesen. Und mir würde vor allem nichts einfallen. So sehr ich das Geräusch liebe, das ein über Papier gezogener Bleistift macht – mein Sound fürs Schreiben ist die Tastatur. Ach ja, und vor allem: ich war schon immer neidisch auf alle Menschen, die mit der Hand schreiben können – d.h. die eine lesbare (vielleicht sogar schöne) Schrift hinbekommen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass sich jemand etwas Gehörtes besser merken kann, wenn er oder sie mitschreibt statt mittippt. Ich weiß jedoch aus eigener Erfahrung, dass Ideenkreativität + Satzbau nicht in der Griffelhand lokalisiert sind. Das können alle 10 Finger in koordiniertem Selbstverständnis. Denn eins ist sicher: auch wer tippt oder wischt, tut dies gemeinhin mit den Händen. Ist es also wichtig, die Handschrift zu pflegen? Oder kommen durch die Nutzung von Computern – oder anderer Geräte – neue Fähigkeiten hinzu, die unser Gehirn ebenso trainieren, wie einst das manuelle Auffädeln von Buchstaben in einer langen Reihe.

Eine schöne Handschrift ist und bleibt etwas Besonderes. Ich denke auch, dass wir unseren Kindern diese Technik weitervermitteln sollten. Allein schon, weil die Übergänge vom Schreiben zum Zeichnen so vielfältig und voller Überraschungen sind. Ich weiß nicht, ob wir mit der Handschrift mehr verlieren, als wir durch neue Lese- oder Schreibgewohnheiten gewinnen. Natürlich verlieren wir etwas. So wie wir längst viele handwerkliche Fähigkeiten verloren haben, die unseren Großeltern (ja sogar Eltern) noch geläufig waren – ich denke gerade an so etwas simples, wie Sauerkraut selber machen… Ich kann zum Beispiel sagen, dass ich noch immer wahnsinnig gerne tippe. Und je neuer die Tastatur (flacher, und leichtgängiger), desto lieber. Ich mag es, dass die linke Hand auch was zu tun bekommt. Ist das am Ende nicht auch eine Emanzipation? Wer tippt, ist zumindest weder Links- noch Rechtshänder/in.

 

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 9

    • Stephanie Jaeckel 15. April 2018

      Ja. Ich finde Sprachprogramme allerdings richtig gut (hilft immerhin für saubere Aussprache). Vielleicht – und das ist tatsächlich meine Hoffnung – wird es andere Bewegungen, Techniken, etc. geben, die das, was wir uns noch per Handschrift antrainiert haben, befördert. Das können ja auch Spiele sein oder irgendwas Sportähnliches – aber vielleicht ist das zu optimistisch?

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        • Stephanie Jaeckel 15. April 2018

          Meine Erfahrungen mit einem Navi beschränken sich auf den Urlaub im letzten Jahr. Da sind wir mit Navi und Karte gefahren. Das ergab eine perfekte Orientierung. Ich muss aber gestehen, in Los Angeles wären wir als Kurzzeitbesucher nicht ohne Navi durchgekommen. Die Stadt ist zu groß, um in vier Tagen überschaubar zu sein. Ich denke, der Kontrollverlust liegt in der Bequemlichkeit jedes und jeder einzelnen. Wer das Mitdenken aufgibt, ist eben verloren. Das war auch früher so, ohne Navi, denn wie viele Leute liefen anderen Leuten einfach hinterher! Meine Mutter z.B. hat sich nie auch nur die Mühe gemacht, eine Karte lesen zu lernen. Obwohl sie das sicher gekonnt hätte. Und auch ich habe sehr spät damit begonnen, weil ich dachte, das sei Teufelszeug. Und das behalte ich mir auch mit Navi bei. Ich will ja wissen, wo ich bin. Und nicht nur, wie ich dahin komme.

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  1. christahartwig 15. April 2018

    Im Teestübchen Trithemius [https://trittenheim.wordpress.com/] läuft gerade eine Briefaktion, und Jules van der Ley bewirkt bei seinen Followern geradezu kreative Wunder. Mir selbst fehlt dazu allerdings nicht nur die Zeit, sondern wohl auch die Geduld (mit mir selbst). Ansonsten bemerke ich bei mir seit einiger Zeit eine Unzulänglichkeit, bei der ich mich frage, ob es so etwas wie Alterslegasthenie gibt. Bisweilen schreibe ich Worte, wie ich sie höre. Da wird dann aus „viel“ ganz schnell „fiel“, aus dem Pfau ein Vau. Schrecklich! Oder vielleicht auch nicht schrecklich, sondern nur erheiternd. Neulich überlegte ich, ob ich anfangen sollte, diese Fehler in einem Notizheft zu sammeln. Zum Glück erkenne ich solche Fehler meistens noch beim Durchlesen, denn im Grunde habe ich an der richtigen Schreibweise nicht die geringsten Zweifel.

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