Um es vorwegzunehmen: Wir wissen es bis heute nicht. Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte Noam Chomsky die Theorie von einer Universalgrammatik. Sein Grundgedanke: jedes menschliche Gehirn ist mit einer mentalen Schablone für Grammatik ausgerüstet. Hätte ich davon schon in der Schule gehört, hätte ich protestiert. Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, dass irgend etwas Grammatisches in meinem Gehirn implementiert ist. Schöne Ironie der Geschichte, dass die Theorie gerade an außereuropäischen Sprachen scheiterte. Australische Sprachen ließen sich nicht mit der Universalgrammatik in Einklang bringen, genauso wenig Baskisch oder Urdu. Die Theorie wurde im Jahr 2002 noch einmal erweitert. Aber auch hier gab es am Ende zu viele Gegenbeispiele, um nicht ins Zweifeln zu geraten. Ins Zweifeln, ob es überhaupt eine universelle Theorie der Sprache(n) geben kann.
Tatsächlich gibt der Spracherwerb einen entscheidenden Hinweis gegen die Theorie: Wir lernen nicht in grammatischen Strukturen, sondern wir erraten die Regeln erst beim Sprechen. Der Beweis: Wir machen alle unterschiedliche Fehler, was nicht sein dürfte, wenn wir alle eine Art Grundgrammatik im Kopf hätten. Die unterschiedlichen Fehler zeigen: Jedes Kind lernt an anderen Mustern.
Was mir daran gefällt, was jetzt aber ein riesiger – und vielleicht zu riesiger – Sprung ist, dass Grammatik keine feste Größe ist. Als Schulkind wurde ich mit Grammatik gequält. Ich konnte sie nie akzeptieren. Weil mir Sprache eine wilde Herde erschien, die umso lebendiger war, je weniger Regeln ins Spiel kamen. Oder je mehr Regeln auch überschritten werden konnten. Klar, dass ich mich damit nicht gegen meine Deutschlehrerinnen durchsetzen konnte. Spätestens beim Fremdsprachenerwerb dämmerte mir der Segen grammatischer Regeln. Auch wenn sie mich zu endlos vielen Fehlern animierten.
Auch heute scheinen mir grammatisch „wackelige“ Sätze oft individueller oder intuitiver als „richtige“. Das ist eine heikle Bewertungsgrundlage, ich weiß. Und bislang finde ich keine wirkliche Basis für meine Liebe zu umgangssprachlichen Wendungen, grammatikalischen Abkürzungen oder Neudefinitionen, zu den Dialekten und der bzw. den Sprache/n von Jugendlichen. Ich mag es, wenn jemand auf Klang schreibt und dafür die Grammatik in den Wind schießt. Oder wenn Fremde, die gerade eine Sprache lernen, die verrücktesten Fehler machen, indem sie ihre eigene Sprache Wort für Wort in die neue Sprache übertragen. Mir gefällt die Vorstellung – und Achtung! meine Überlegung ist keineswegs wissenschaftlich – dass Sprache immer wieder aus einem anderen Baukasten, aus – meinetwegen – einem anderen „Mist“ herauswächst. Hier wäre auch mehr Platz für mentale Prozesse oder Wahrnehmungsprozesse, die die Sprachentwicklung beeinflussen und damit die eigene Weltsicht oder auch eine Art individuelle Grammatik bilden. Vielleicht könnte diese Einsicht die Wucht der Grammatik etwas mildern und für die Beschreibung und auch für die Bewertung von Literatur andere Maßstäbe liefern. Um nicht missverstanden zu werden: Auch ich halte die Grammatik für eine wesentliche Grundlage von Sprachen. Aber sie ist keine elementare Gewalt. Sondern regional unterschiedliches Muster für das, was wir Menschen reden, denken, singen oder dichten.
Sollte das Foto gegen die gültigen allgemeinen Bildrechte verstoßen, lösche ich es unverzüglich.
mannigfaltiges 25. April 2017
Wohltat, deine Schreibe!
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Stephanie Jaeckel 25. April 2017
Oh, danke für das Kompliment, Erich. Das tut mir heute Abend richtig gut.
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mannigfaltiges 25. April 2017
Gar nix, überhaupt nix zu danken, der Text ging runter wie Öl. Kämpfe ich doch einen aussichtslosen Kampf mit Grammatik und so nebenbei erhalte ich auch noch einen Freibrief für meinen Slang!
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Stephanie Jaeckel 25. April 2017
Haha, das wäre ja mal was, wenn ich plötzlich Freibriefe erteilen könnte… 🙂
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mannigfaltiges 25. April 2017
Kaperbriefe wären aber auch nicht ohne. So als Pirat Ihrer Majestät könnte ich mich schon sehen.
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Stephanie Jaeckel 25. April 2017
O.K. darüber können wir verhandeln. Zumal mir der NRW-Wahlomat die Piratenpartei vorgeschlagen hat…
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mannigfaltiges 25. April 2017
Wenn es nur mit den(der) Piraten(romantik) nicht immer so ein schreckliches Ende nehmen würden…
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Susanna Maurer 25. April 2017
Auch für mich ist die Sprache immer dann am Spannendsten, wenn bewusst (in der Poesie) oder unbewusst (von Kindern oder Fremdsprachenlernenden) gegen die Regeln verstoßen wird. 🙂
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Stephanie Jaeckel 25. April 2017
Ja, dieses Stoßen an Regeln zeigt ja immer auch gleich andere Möglichkeiten. Was bedeutet, dass Regeln auf eine Art auch wichtig sind…
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philosophie-taxi 2. Oktober 2017
Wow, wie gut dieses Foto einfach zu dem Text passt! Genial! 🙂
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