Eigentlich ist es kaum mehr als ein Kapitel, das Buch Kohelet aus dem Alten Testament. Zwölf Seiten füllt es in meiner Ausgabe, von Seite 720 bis 732.
Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch. Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne?
Wer dieser Kohelet war, wissen wir nicht. Ein Sohn Davids, ein König von Jerusalem. Übersetzt heißt der Name unter anderem Prediger. Manche gehen davon aus, dass es König Salomo selbst gewesen sein könnte. Ein kluger Mann war es allemal. Und ein Zweifler und Mensch mit Widersprüchen. Tatsächlich hatte es das Buch schwer, in den Kanon der Heiligen Schriften aufgenommen zu werden. Im hebräischen Kanon gehört es mittlerweile zu den „Fünf Festrollen“. Es ist die Lesung zum Laubhüttenfest.
Alle Flüsse fließen ins Meer, das Meer wird nicht voll. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, kehren sie zurück, um wieder zu entspringen.
So ein Satz zum Beispiel geht mir sehr nah. Gerne wird ja auf der naturwissenschaftlichen Blindheit der Bibel rumgeritten. Klar. Den Verfassern ging es um Bilder. Um Vergleiche. Darum, Unmögliches zu erklären. Aber wir sehen hier deutlich, dass sie auch Augen im Kopf hatten. Und wie schön dieser Satz überhaupt ist, wo die Flüsse fließen und das Meer nicht voll wird!
(…) nie wird eine Auge satt, wenn es beobachtet, nie wird ein Ohr vom Hören voll.
Klar, heutige Psychologen wären wahrscheinlich schnell mit der Diagnose „hochsensibel“ bei der Hand. Aber ich freue mich, denn es ist ja auch eine Anleitung zu einem guten Leben.
Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was man getan hat, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne.
Ja. Zeit, sich an die eigene Nase zu packen. Und: wo das Sprichwort herkommt, ist jetzt auch geklärt. – Nein, ich werde jetzt keine Satz-für-Satz-Analyse vorlegen. Um ehrlich zu sein, habe ich dieses Buch, so kurz es ist, noch lange nicht verstanden. Denn es geht kreuz und quer, mal denkt man, die Sache verstanden zu haben, und dann stellt dieser Kohelet alles wieder auf den Kopf. Vielleicht ist es dieses, „glaub-bloß-nicht-du-hättest-mit-deinem-Glauben-alles-im-Griff, was das Buch für unsere Zeit aktuell macht. Denn hier ist der Glaube keineswegs die Pille, am Ende auf der richtigen Seite zu stehen. Und es gibt auch Sätze, die eher von Buddhisten stammen mögen, als aus dem christlichen Glaubensbuch. Etwa:
Viel Wissen, viel Ärger, wer das Können mehrt, der mehrt die Sorge.
Noch etwas, was mich – in diesem Fall als Geschichtswissenschaftlerin – sehr erfreut. Dass nämlich früher (wir sprechen wohl von der Zeit zwischen 250 und 200 v.Chr.) diese kurzsichtige Idee vom Fortschritt noch nicht griff:
Zwar gibt es bisweilen ein Ding, von dem es heißt: Sieh dir das an, das ist etwas Neues – aber auch das gab es schon in den Zeiten, die vor uns gewesen sind.
Einmal mehr war Ostern. Und es beginnt und geht weiter wie gehabt. Eine menschenalte Erfahrung. Und für Christen (und andere) ein Geheimnis ihres Glaubens.
Myriade 19. April 2017
Ja, das finde ich auch abseits von Glauben und Religion sehr tiefsinnig. Stammt da nicht auch das „Es gibt für alles eine Zeit…..“ her ? und „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“
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Stephanie Jaeckel 19. April 2017
„Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit“ – ja, so fängt diese wunderbare Passage an, die man sich am besten täglich zu Gemüte führt. Es hat so etwas tröstliches, die eigenen Anstrengungen, Ängste, den Druck, den man spürt, diese ganze Alltagsthematik, die man oft für so modern hält, in einem uralten Text wieder zu finden. Es lohnt sich wirklich, das Buch einmal zu lesen, auch wenn es, und auf diese Widersprüche bin ich hier nicht eingegangen, ziemlich komplex und rätselhaft ist.
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Susanna Maurer 19. April 2017
Herzlichen Dank für diesen Beitrag; er macht mich sehr neugierig auf das im Kanon vernachlässigte Buch. 🙂
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Lutz Prauser 19. April 2017
Ein ganz und gar unfassbares Büchlein. Ich sollte es mal wieder lesen. Unauslöschlich wird mir 12:12 in Erinnerung bleiben. Ein Vers, wie gemacht für ein ganzes Studentenleben:
„Hüte dich, mein Sohn, vor andern mehr; denn viel Büchermachens ist kein Ende, und viel studieren macht den Leib müde.“
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papiertänzerin 19. April 2017
Alles nur ein Windhauch, das macht es leichter & schwerer zugleich.
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Stephanie Jaeckel 20. April 2017
Auf eine Art sind Melancholie und Erleichterung oft sehr nah beieinander.
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papiertänzerin 29. April 2017
Das ist auch meine Erfahrung.
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flowerywallpaper 20. April 2017
Ein guter Beitrag von dir heute. Hab zufällig auch heute im Alten Testament nachgeschlagen. Als Atheist lese ich Teile daraus wie andere philosophische und historische Schriften.
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Stephanie Jaeckel 20. April 2017
Ja, ich denke, wir tun gut daran, alte Texte zu lesen. Die Menschen vor uns waren ja nicht dümmer. Sie lebten zum Teil unter anderen Bedingungen. Was andere Perspektiven nach sich zog. Das lohnt sich eigentlich immer.
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