Paul Wer?

Goesch. Nein? Nie gehört? Kein Wunder. Der Mann hat sein nicht besonders langes Leben (er wurde 55), weitgehend in der Familie und in Sanatorien verbracht. Er war Architekt, sein Zweites Staatsexamen zum Regierungsbaumeister in Berlin legt er 1914 ab. Im Ersten Weltkrieg arbeitet Goesch im Postdienst. Hier wendet er sich dem Zeichnen und Aquarellieren zu. Eine erste psychische Krise bringt ihn 1917 ins Sanatorium, wo er bis nach Kriegsende bleibt. Er lebt danach in Berlin bei seinem Vater, arbeitet als freier Künstler im Kreis von Bruno Taut. Er ist Mitglied der Novembergruppe, schafft aber auch weiter Architekturstudien bzw. Entwürfe für ein „Neues Bauen“ (1920er Jahre). 1921 geht er erneut ins Sanatorium, diesmal nach Göttingen, wo ein Schwager als Arzt arbeitet. 1933/34 wird er von Göttingen nach Berlin-Teupitz verlegt, 1940 im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms ermordet.

Paul Goesch also. Meist kleinformatige Bilder, Skizzen, Aquarelle, Zeichnungen, Entwürfe. Die einem die Schuhe ausziehen. Kleine Zettelchen, sorgfältig mit Ornamenten überzogen, fein, zart, keineswegs zwanghaft, klar, witzig, verspielt, groß. Denn so ein „groteskes Tor“ kann man sich unschwer als Monument in einem Dschungel vorstellen. Oder als Relikt im Pergamonmuseum. Gut, er hatte einen Marien-Fimmel. Aber wie er die Muttergottes malt – Hut ab. So zumindest haben wir sie noch nie gesehen. Zwischen Weckmännchen, auf dem Kopf eines mit Turban geschmückten Schwarzen, nackt und androgyn. Als grüngewandete Statue auf etwas, was wie eine große Torte aussieht. Als Popmadonna auf einem Kirmesthron. Als Fata Morgana für eine junge Frau über dem Kirchenportal.

Paul Goesch gehört zu den „naiven“ Malern, ohne einer gewesen zu sein. Ein Großteil seiner Werke sind in der Sammlung Prinzhorn, dass er psychisch delikat war, davon sprechen die jahrelangen (offenbar freiwilligen) Aufenthalte in Sanatorien. Aber er gehörte weder zu den Dilettanten (er war ausgebildeter Architekt und seine autodidaktische Malerei basierte auf einer soliden Zeichenausbildung), zumal seine Bilder bereits von Museen angekauft wurden, noch zu den „Geisteskranken“, dito.

Paul Goesch ist vor allem einer, der sich nicht leicht einordnen lässt. Lange nach seiner Zeit wiederentdeckt, sind keine weiteren Zuschreibungen vorhanden als die seiner direkten Zeitgenossen (wie Taut oder Walter Gropius). Wenn man sieht, was er sah, kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus. Weil er als Nicht-Maler vor allem keinem Stil verpflichtet war und malte wie ein Pop-Freak der 1960er, wie ein mittelalterlicher Mystiker, wie ein Kind, ein Scharlatan, ein Clown oder ein Tattoo-Meister. Den habe ich heute das erste Mal gesehen, bzw. Bilder von ihm und ich bedaure inständig, nicht einfach nach Heidelberg fahren zu können. wo gerade eine große Ausstellung von ihm läuft. Aber eben, in Berlin ist er zur Zeit in der Berlinischen Galerie zu sehen, in der kleinen, sehr feinen Ausstellung „Visionäre der Moderne, Paul Scheerbart, Bruno Taut, Paul Goesch„. Ich kann wirklich nur eins raten: Hingehen!

Der Katalog: Visionäre der Moderne, Paul Scheerbart, Bruno Taut, Paul Goesch“, mit Beitr. von Eva-Maria Barkhofen, Sabine Hohnholz, Greta Kühnast, Annelie Lütgens, Ralph Musielsi, Thomas Köhler, Zürich 2016.

Das Selbstporträt ist aus dem genannten Katalog abfotografiert. Das Copyright der Originalfotografie gehört Kai-Annett Becker.

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Wer die Welt erkennen will, sollte genau hinsehen. Schon als Kind habe ich mir häufig die Augen gerieben und - wenn es sein musste - noch einmal hingeschaut. Mittlerweile arbeite ich als Journalistin und als Autorin. Auch hier ist das genaue Hinsehen, keineswegs das Schreiben, die, wenn man so will, Kerntätigkeit. Doch während ich meinen Blick bei der Arbeit fokussiere und das Gesehene zu allen möglichen Richtungen hin ausleuchte, möchte ich in meinem Blog kurze Blicke wagen. Wer zurückschaut, ist herzlich willkommen.

Comments 7

    • Stephanie Jaeckel 6. Juni 2016

      Ja, stimmt. Aber weil mir Paul Goesch so neu war, habe ich – zugegeben – fast nur auf seine Bilder geschaut. Scheerbart überraschte mich, weil ich gerade viel in der Tiefsee unterwegs bin (nee, leider nicht in echt, sondern bloß vom Schreibtisch aus), und dort so viel Leben existiert, das fern jeder üblichen Zuordnung: Pflanze – Tier, Mann – Frau, Einer – Viele stattfindet. Scheerbarts Figuren machen dies sichtbar, ohne dass er das damals wissen konnte. Und Taut: sowieso…

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  1. sylvia 7. Juni 2016

    liebe Stephanie, vielen dank für diesen interessanten hinweis! Berlin ist nicht soo weit von mir – aber auch Heidelberg wäre eine option. weisst du, wie lang die ausstellungen noch zu sehen sein werden?
    herzlicher gruß
    Sylvia

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